Flutkatastrophe: Persönliche Berichte über Betroffene

/, Sonderausgabe Flutkatastrophe/Flutkatastrophe: Persönliche Berichte über Betroffene
  • Möbel, Elektrogeräte, Textilien, Klamotten, Papiere usw. wurden Opfer des Hochwassers.

Flutkatastrophe: Persönliche Berichte über Betroffene

2021-11-09T16:33:11+01:0018. Oktober 2021|

Einsatz in Ahrweiler

Als wir am Freitag in Ahrweiler ankamen, machten wir uns gleich auf den Weg zur ersten Adresse. Als wir an einem Haus vorbeikamen, fiel mir ein älterer Mann auf, der an seiner Hauswand lehnte und völlig zerstört ins Leere schaute. Mich beunruhigte dieser Anblick und ich sprach ihn an. Er erzählte uns, dass er sein Leben lang hart dafür gearbeitet hatte, um im Rentenalter gut versorgt zu sein.

Und nun war in einem Augenblick alles weg. Die Flut hatte seine vier Häuser und sein Hotel zerstört. Nur Ruinen blieben zurück, seine 15 Mitarbeiter wurden von heute auf morgen arbeitslos. Sein teures Auto, das er sich vor drei Monaten gekauft hatte, wurde ebenfalls zerstört.

Mit kurzen aufbauenden Worten konnten wir ihm ein wenig Kraft und Hoffnung schenken. Er bedankte sich nach diesem Gespräch sogar bei uns, dass uns seine Verzweiflung aufgefallen war und wir ihn darauf angesprochen hatten.

 

Eduard Dai
Gemeinde Güllesheim

 

Grundstück wurde per Hand mit Schaufeln entschlammt.

 

Einsatz Reiterhof in Swisttal-Miel

Ein Teil unserer Gruppe fuhr nach Swisttal-Miel, wo auf einem Reiterhof eine christliche Familie Hilfe benötigte. Die Besitzerin des Hauses erzählte, dass sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern vor einem Jahr das finanzielle Risiko eingegangen waren und sich dieses große Bauernhaus gekauft hatten, um sich ihren Traum von einem Begegnungshaus zu erfüllen. Als die Flut kam, riss sie die hohe Mauer mit, welche das Grundstück abgrenzte und überflutete so den ganzen Hof.

In letzter Minute retteten sie ihre Kinder. Der Fluss hatte sich in kurzer Zeit von einem kleinen Bach, über den man springen konnte, zu einem reißenden Strom entwickelt, verwüstete den ganzen Hof und richtete auch seinen Schaden am Haus an. Im Erdgeschoss mussten die Möbel, der Fußboden und der Putz herausgerissen werden, nur die Betten waren noch brauchbar.

 

Eine Woche zuvor hatten sie die komplette Scheune mit Heu aufgefüllt. Dies wurde durch das Wasser und den Schlamm aber komplett durchtränkt und verdreckt. Nachdem das Wasser zurückgegangen war, musste das Heu schnell auf dem ganzen Hof verteilt werden, um einen Gärungsbrand zu verhindern.

Danach wurde es wieder aufgesammelt und entsorgt. Die Frau war sich sicher, dass unsere Hilfe und auch die Hilfe der anderen eine Gebetserhörung war.

Das Gebäude war nicht elementarversichert. Dadurch ist auch hier der finanzielle Schaden sehr belastend. In erster Linie war die Besitzerin aber Gott einfach nur dankbar, dass alle überlebt haben.

 

Helfer
Gemeinde Güllesheim

 

Der Schlamm musste, solange er noch nicht getrocknet war, weggeräumt werden, da er sonst betonhart werden würde.

 

Einsatz in Ahrbrück

Mein erster Einsatz war am Sonntag, den 18.07.2021, in Ahrbrück. Als wir mit unserer Hilfsgruppe von ca. 80 Leuten ankamen, teilten wir uns in kleinere Gruppen auf. Einige Familienangehörige, eine Freundin und ich bildeten eine Gruppe. Wir waren die letzten, die aus dem Bus stiegen. Alle liefen schon voraus und mir fiel auf, dass alle am ersten Haus kurz stehen blieben, mit dem Besitzer sprachen und dann weitergingen.

Ich wunderte mich, warum alle vorbeigingen und meinte zu den anderen: „Kommt, lasst uns hier beim ersten Haus nachfragen, ob Hilfe benötigt wird und anfangen.“ So standen wir vor einer Garage, die einem Mann, der um die 60 Jahre alt und schon Rentner war, gehörte. Er selbst wohnte gegenüber, war vor zwei Wochen am Bauch operiert und war frisch entlassen worden. Als die Flut kam, konnte er sich noch rechtzeitig aus der Garage in sein Haus retten.

Er gab uns einen kurzen Lagebericht über die Garage. Diese bestand aus einem Bücherarchiv, wie er es nannte und einem angrenzenden kleinen Raum, in dem ein Sessel und eine Küchenzeile vorhanden waren. Hier hatte er den Großteil seiner Zeit verbracht.

 

Warum nicht helfen, dachten wir. Das elektrische Garagentor ließ sich nicht öffnen, da es keinen Strom gab. Wir wollten es von Hand öffnen, was sich dann als schwierig herausstellte, da es verbogen war und in der Schiene festklemmte. Neben der Garage hatte ich ein Fenster entdeckt, wollte durchs Fenster steigen und versuchen, das Tor von innen zu öffnen.

Der Besitzer lachte und sagte nur, ich würde dort nicht einen Zentimeter freien Raum finden, denn die Garage sei komplett bis unters Dach mit Büchern vollgestellt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man da nicht etwas beiseiteschieben konnte, um durchzukommen. Irgendwie gelang es den Jungs, das Tor von außen zu öffnen.

Zuerst standen wir total sprachlos vor der Garage und trauten unseren Augen nicht. Es war genauso, wie er gesagt hatte. Die Garage war bis zur Decke voll gestapelt mit Büchern und Zeitschriften. Jetzt kamen uns noch das Wasser und der Matsch entgegen, der uns teilweise noch bis zu den Knien ging.

Während wir nach und nach die Bücher entsorgten, kamen wir ins Gespräch. Der Mann erzählte uns, dass er seit seiner Jugendzeit die Bücher und Zeitschriften gesammelt habe. Er verbrachte seine ganze Freizeit damit, nach den seltensten Exemplaren, Bücherbänden und Serien zu suchen. Sogar an Ausstellungen hatte er teilgenommen. Es war sein ganzes „Lebenswerk“. So nannte er es.

 

Viele Häuser sind nicht mehr reparabel und müssen abgerissen werden.

 

Als wir unsere Mittagspause hatten, unterhielten wir uns mit den anderen Helfern. Alle erzählten begeistert, wie sie einer älteren Frau oder Familien geholfen hatten. Mein Bruder fand, dass die Garage weniger Priorität habe und wir woanders helfen sollten, wo unsere Hilfe dringender gebraucht würde. Irgendwie konnte ich aber nicht aufhören, ich wollte unbedingt zuerst eine Aufgabe erledigen und dann zur nächsten gehen.

Also machten wir weiter. Inzwischen kam Verstärkung aus dem Familien- und Freundeskreis des Mannes. Sie scherzten und machten Witze und er erzählte ununterbrochen, wie er zu dem einen oder anderen Buch gekommen war. Mir schwirrte die ganze Zeit der Vers aus Matthäus 6,19 im Kopf herum: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden.“

Irgendwann sprachen wir den Mann genau auf diesen Vers an und fragten ihn, ob er ihn aus der Bibel kenne. Er ging nicht näher drauf ein, versuchte sogar mit ein paar Scherzen wie: „Im nächsten Leben werden ich auf keinen Fall Bücher sammeln“ das Gespräch zu umgehen. Zuerst ließen wir es dabei bewenden, aber wir merkten, dass er ruhiger und nachdenklicher wurde, bis er irgendwann gar nichts mehr sagte.

Als wir dann so weit fertig waren und zur Abfahrt gerufen wurden, bedankte er sich bei uns für die Hilfe und sagte zum Schluss: „Ich bin einfach nur froh, dass ich noch mein Leben habe, denn das kann keiner ersetzen.“ Er fing sogar an zu weinen. Vielleicht taten wir an dem Tag keine „lebensnotwendige“ Arbeit, doch bin ich mir sicher, dass der Vers, den wir ihm vorlegten, seine Arbeit tun wird.

 

Nadia Riewe
Gemeinde Hennef

 

Helfer der Gemeinde Miesau im Einsatz in Sinzig

 

Helfer säuberten den Keller mittels Menschenkette.