„Praedicate evangelium!“ ...und die fünf W-Fragen der Evangelisation

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  • Praedicate evangelium! (latein) = Verkündige das Evangelium! (deutsch). Bildquelle: AdobeStock @ AlfRibeiro

„Praedicate evangelium!“ ...und die fünf W-Fragen der Evangelisation

2024-11-21T15:09:40+01:0021. November 2024|

Ist es eine Übertreibung zu behaupten, die Daseinsberechtigung der Gemeinde Jesu Christi auf Erden sei ihr gottgegebener Auftrag der Verkündigung des Evangeliums? Was passiert mit einer Gemeinde, die ihren Daseinszweck nicht mehr erfüllt, ein Rettungsschiff in Seenot zu sein? Wenn Gott es mit der globalen Verbreitung der Guten Nachricht über den von Sünde erlösenden Kreuzestod Seines Sohnes Jesus Christus und Seiner von Schuld rechtfertigenden Auferstehung für den Glaubenden so ernst gemeint hat, welcher Inhalte dieses größten und alleredelsten Auftrages muss ich mir dann als Christ im 21. Jahrhundert bewusst sein, um ihn gewissenhaft zu erfüllen? Folgende fünf W-Fragen dazu sollen nun prägnant beantwortet werden.

 

1. Warum evangelisieren wir nicht?

Die Gewohnheit zur kritischen Selbstreflexion des eigenen geistlichen Standes ist eine der Grundausstattungen eines jeden Christen. Die Schrift ruft mehrfach dazu auf, mit Worten wie: „Prüft euch, ob ihr im Glauben seid, untersucht euch! Oder erkennt ihr euch selbst nicht, dass Jesus Christus in euch ist? Es sei denn, dass ihr etwa unbewährt seid“ (2.Kor 13,5). Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage nach möglichen Gründen dafür, warum wir Christen nicht evangelisieren, nicht nur berechtigt, sondern ihre Beantwortung ist kurz gesagt unsere Pflicht.

 

Erstens ist der Verlust oder das Schwinden der Freude über die Errettung einer der Gründe dafür, warum das Thema der Evangelisation unsere Herzen nicht mehr in brennender Leidenschaft entflammen lässt. Gerade dieser Gedanke wurde auf der diesjährigen Brüderkonferenz in Bremen nochmal mahnend aufgegriffen. Jesus berührt dieselbe grundsätzliche Frage im Hause Simons, des Pharisäers und fasst mit folgenden Worten zusammen: „Wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig“ (Lk 7,47b). Die Beantwortung der Frage danach, wie viel uns vergeben ist, ist direkt abhängig von der Tiefe unserer Sündenerkenntnis. Haben wir nun die schiere Größe unserer Schuld vor Gott erkennen dürfen, versetzt uns die Erfahrung der Gnade Gottes in umso größeres Staunen und in dem Maße, in Eifer für das Werk der Errettung von Seelen. Dieselbe Botschaft tragen auch die bekannten Worte eines russischsprachigen bekannten Liedes: «Тот, кто спасён, призван спасать. Этот закон нам дала благодать.», oder zu Deutsch: „Wer gerettet ist, ist dazu berufen, [andere] zu retten. Dieses Gesetz hat uns die Gnade gegeben.“

 

Zweitens spielt die Furcht vor Menschen eine große Rolle dabei, warum wir in dem Moment, wenn Gott uns die Tür zur Verkündung öffnet, die Chance nicht nutzen und eintreten. Sind etwa nur wir Christen im 21. Jahrhundert so ängstlich? Stehen wir als solche allein da? Der Apostel Petrus sprach in einem seiner Briefe, zwar im Kontext von Leiden um Christi willen, gerade bezüglich dieser Problematik der Menschenfurcht erbauliche Worte zu: „Fürchtet aber nicht ihren Schrecken, seid auch nicht bestürzt, sondern haltet den Herrn, den Christus, in euren Herzen heilig!“ (1.Petr 3,14b;15a). Die Lösung dafür, laut Petrus, liegt darin, sich unserer Haltung gegenüber Christus als unseren Herrn bewusst zu werden und sich vielmehr darauf zu konzentrieren, wer Er ist, sodass als Konsequenz daraus anstelle von Menschenfurcht Gottesfurcht tritt. Der praktische Schluss daraus hallt aus dem Mund der Apostel und des Petrus wie ein Echo bis in unsere Tage hinein: „Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen“ (Apg 5,29b). Petrus schreibt in seinem Brief demnach nicht als Theoretiker, sondern mit praktischer Erfahrung aus erster Hand.

 

Drittens fühlen sich viele Christen nicht bereit, auf die mögliche Fülle an Fragen, der sie bei der Ausführung dieses Dienstes begegnen können, eine Antwort zu geben. Gerade die Worte „Seid aber jederzeit bereit zur Verantwortung jedem gegenüber, der Rechenschaft von euch über die Hoffnung in euch fordert“ (1.Petr 3,15b) und „Euer Wort sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt; ihr sollt wissen, wie ihr jedem Einzelnen antworten sollt!“ (Kol 4,6) versetzen so manchen in Verlegenheit darüber, wie es möglich sein soll, diese Worte, angesichts der Vielfalt an möglichen Fragen einer so pluralistischen, multikulturellen und säkularen Gesellschaft wie der unsrigen in die Tat umzusetzen.

 

Gibt es hier eine einfache Lösung? Jedem Christen mit der Bereitschaft zur Weitergabe der Guten Nachricht sollte an dieser Stelle klar sein, dass es sich hierbei um einen kontinuierlichen Wachstumsprozess handelt. Ich werde nicht von heute auf morgen alle Fragen eines Suchenden beantworten können. Die Wahrheit ist, ich werde niemals alle Fragen beantworten können! Das Wachstum darin wird jedoch durch einen entscheidenden Faktor bestimmt: Gehorsam. Bin ich bereit, trotz meiner vernunftmäßigen Unzulänglichkeiten und sonstiger Schwachheiten den Worten des Missionsbefehls Jesu, im Vertrauen auf Seine Führung, Gehorsam zu schenken? Jeder Vater freut sich über die ersten Schritte seines Kindes, auch wenn diese rasch mit einem, manchmal unsanften, Hinplumpsen beendet werden. Freut sich der himmlische Vater etwa nicht über unsere ersten Schritte, die ein Zeichen des Gehorsams Ihm gegenüber sind?

 

Der ganze Himmel ist interessiert am Kreuz Christi, die ganze Hölle hat schrecklich Angst vor dem Kreuz, während die Menschen die einzigen sind, die dessen Bedeutung mehr oder weniger ignorieren.

 

2. Was ist Evangelisation und was nicht?

Evangelisation ist, trocken gesagt, die Verkündigung der Botschaft des Evangeliums mittels ausgewählter Methoden. Die eigentlich vorausgehende Grundfrage ist aber eine andere, weil sie den Ausgang der oben genannten Frage nach der Natur der Evangelisation maßgeblich bestimmt: Was ist der Inhalt der Botschaft des Evangeliums?

 

Paulus greift diese Frage in seinem ersten Brief an die Korinther auf, indem er ihnen schreibt: „Ich tue euch aber, Brüder, das Evangelium kund, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch steht, durch das ihr auch gerettet werdet, wenn ihr festhaltet, mit welcher Rede ich es euch verkündigt habe, es sei denn, dass ihr vergeblich zum Glauben gekommen seid. Denn ich habe euch vor allem überliefert, was ich auch empfangen habe: dass Christus für unsere Sünden gestorben ist nach den Schriften; und dass er begraben wurde und dass er auferweckt worden ist am dritten Tag nach den Schriften“ (1.Kor 15,1-4). Drei wesentliche Aspekte werden hier erwähnt: Erstens der vorher vorausgesagte und dementsprechend eingetretene Tod des Christus, zweitens Sein Begräbnis und drittens Seine Auferweckung aus den Toten am dritten Tag. Im Römerbrief fasst Paulus die Gründe dafür zusammen: „Der unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist“ (Röm 4,25).

 

Jesus höchstpersönlich geht laut Lukas in seinen Abschiedsworten vor der Himmelfahrt auf dieselben zwei Ereignisse, Tod und Auferstehung, ein: „Und sprach zu ihnen: So steht geschrieben, und so musste der Christus leiden und am dritten Tag auferstehen aus den Toten und in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt werden allen Nationen, anfangend von Jerusalem“ (Lk 24,46-47). Evangelisation ist folglich die Verkündigung der guten Nachricht von dem von Sünde erlösenden Kreuzestod des Herrn Jesus Christus (vgl. Hebr 9,15) und Seiner den Sünder rechtfertigenden Auferstehung aus den Toten mit dem Zweck der Vergebung der Sünden, zu der jeder Glaubende aus Gnaden durch den Vorgang der Buße Zugang bekommt.

 

Sätze wie: „Jesus liebt dich!“, oder „Jesus schenkt dir Frieden, Freude und bleibendes Glück!“, oder „Jesus möchte dein Freund sein“, geben demnach selektiv einen spezifischen Teilaspekt der Evangeliumsbotschaft wieder und können sicherlich als Sprungbrett dafür dienen, dass Menschen anfangen, sich für den christlichen Glauben zu interessieren. Streng genommen ist mit ihnen die volle Botschaft des Evangeliums aber nicht verkündigt! Der Hörer dieser Worte hat nur einen kleinen Ausschnitt vom großen Ganzen gehört. Der Leser dieser Sätze hat das Buch, bildlich ausgedrückt, unglücklicherweise im letzten Kapitel zu lesen bekommen. Evangelisation findet dann statt, wenn der Hörer die volle und ganze Botschaft vernommen hat.

 

„Manchmal hat man, wie am Flughafen, nur fünf Sekunden für ein Gespräch. Soll ich diese etwa nicht für einen Satz wie ‚Jesus liebt dich!‘ nutzen?“ Unbedingt! Dennoch müssen wir uns hier präzise um die rechte Einordnung der Begrifflichkeit „Evangelisation“ oder „Evangelium“ bemühen, denn wir verkündigen schließlich kein gutes Geschäftsmodell oder eine nette, das bisherige Leben aufwertende Lebensperspektive, sondern die einzigartig rettende Botschaft mit Ewigkeitskonsequenzen. Wir verkündigen, metaphorisch gesprochen, einer zwischen Hochhäusern seiltanzenden Menschheit, dass ihr Seil an einem seidenen Faden hängt und sie kein Netz oder doppelten Boden unter sich hat. Den feiernden Passagieren einer sinkenden Titanic rufen wir aus voller Kehle zu, sich in die Rettungsboote zu begeben. Hier schwingen die Worte Paulus mit: „Jesus, der uns rettet von dem kommenden Zorn“ (1.Thess 1,10b).

 

Wer gerettet ist, ist dazu berufen, [andere] zu retten. Dieses Gesetz hat uns die Gnade gegeben.

 

3. Warum sollen wir evangelisieren?

Oswald Chambers gab einmal folgende Worte von sich: „Der ganze Himmel ist interessiert am Kreuz Christi, die ganze Hölle hat schrecklich Angst vor ihm, während die Menschen die einzigen sind, die seine Bedeutung mehr oder weniger ignorieren.“

 

Was den wiedergeborenen Christen vom natürlichen, seelischen oder gar fleischlichen Menschen unterscheidet, ist ja gerade der Umstand, dass er die durch die Bibel als geistliche Realität beschriebenen Tatsachen als wahr und echt annimmt. Während ein dem Glauben ferner Mensch die Lebensauffassungen eines Christen von der Seite belächeln mag, so ist es dem Christen ernst, sein Leben mit der Realitätsbeschreibung der Bibel in Einklang zu bringen: Sünde, Gesetz und Gericht sind real, genauso wie das Kreuz, die Gnade und Barmherzigkeit. Hier liegt der erste und offensichtlichste Grund dafür, warum wir evangelisieren sollen: weil die Bibel wahr und ihre Inhalte real sind.

 

Wir evangelisieren nicht, um krampfhaft ein schlechtes Gewissen zu vermeiden, auch nicht um einer Strafe für Nichterfüllung oder Unterlassen zu entgehen, obwohl auch diese ernst zu nehmen sind (vgl. Lk 12,47-48). All jene Beweggründe mögen zwar für sich genommen nicht unbedingt verwerflich sein, aber sie bilden keine vollkommene Grundlage für den Dienst eines Christen im Leib Christi. Der Hauptbeweggrund Gottes, Seinen Sohn in die Welt zu senden, war Liebe, daran besteht kein Zweifel: „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat“ (Joh 3,16).

 

Das Wort Gottes deutet an anderer Stelle ebenfalls auf eine gesunde Motivation für die Erfüllung des Auftrags Jesu auch für künftige Diener hin: „Denn die Liebe Christi drängt uns“ (2.Kor 5,14a), schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde der Korinther. So ist es nicht übertrieben zu sagen, dass Gottes überwältigend große Liebe zu uns Menschen und die dadurch im Menschen geborene Liebe zu Gott, aus der Erfahrung der herrlichen Gnade Gottes in der Errettung, der Hauptgrund auch für das Evangelisieren ist.

 

In gedanklicher Kombination mit der schrecklichen Realität der Sünde und der ewigen Strafe dafür sollten uns diese wahrhaft motivieren, auch anderen die Gute Nachricht aus Liebe mitzuteilen. Wir sind demnach dazu verpflichtet oder wie Paulus es sagt: „Denn wenn ich das Evangelium verkündige, so habe ich keinen Ruhm, denn ein Zwang liegt auf mir. Denn wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündigte!“ (1.Kor 9,16) oder wie Manfred Siebald es mit den Worten eines bekannten Liedes in wunderschöner und bildlicher Sprachkraft ausdrückt: „Wer das Wasser in der Wüste kennt und es verschweigt, der ist schuld, wenn Sterbende es übersehn. Wer im Moor die festen Wege kennt und sie nicht zeigt, der ist schuld daran, wenn andre untergehn.“

 

Im Lukasevangelium, Kapitel 15, offenbart uns das Wort Gottes das „Herz des himmlischen Vaters“ anhand von drei bildhaften Beispielen, deren Gemeinsamkeit das Verlorensein und Wiederfinden eines Gegenstandes ist: das verlorene Schaf, die verlorene Drachme und der verlorene Sohn. In jedem dieser Gleichnisse erfüllt unbändige Freude das Herz des oder der Suchenden und Findenden: der Hirte freut sich über das gefundene Schaf, für das er die „99“ anderen zurücklässt, die Frau freut sich über die gefundene Drachme und der Vater über den einst verlorenen und nun zurückgekehrten Sohn. Alle Drei teilen ihre Freude mit ihrem direkten Umfeld. Wenn wir von Gottes Geist wiedergeboren werden, legt Gott in uns ein Herz, das dem Seinen gleicht und von einer tiefgründigen Liebe und unendlichem Mitgefühl zu verlorenen Seelen erfüllt ist. Auch hier liegt die Antwort auf das „Warum?“

 

Außerdem evangelisieren wir, weil wir den Worten Jesu Gehorsam leisten wollen. Ihm haben wir die Herrschaft über unser Leben übertragen, als wir zum Glauben gekommen sind (vgl. Mt 28,16-20 und Mk 16,15-18). Wenn das Evangelium und dessen Predigt der Lebensinhalt Jesu und Seiner Jünger war, dann ist es nicht verwunderlich, wenn Paulus in aller Deutlichkeit die Fortführung dieses Auftrages zur Verkündigung durch den Leib Christi erklärt: „Alles aber von Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat, wie denn Gott in Christus war, und die Welt mit sich selbst versöhnte, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete und in uns das Wort von der Versöhnung gelegt hat. So sind wir nun Gesandte an Christi statt, indem Gott gleichsam durch uns ermahnt; wir bitten für Christus: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2.Kor 5,18-20).

 

Zuletzt evangelisieren wir, um unseren himmlischen Vater nach dem Vorbild Jesu zu verherrlichen. Er allein ist es würdig, diese Ehre anzunehmen. Das sogenannte hohepriesterliche Gebet Jesu (vgl. Joh 17) ist erfüllt von dem Wunsch des Sohnes, Seinen Vater zu verherrlichen. Auch Paulus greift diesen Gedanken in dem „Lobpreis Gottes“ zu Beginn des Epheserbriefes auf und wiederholt ihn mehrfach: „Zum Preis der Herrlichkeit seiner Gnade, mit der er uns begnadigt hat in dem Geliebten. […] damit wir zum Preis seiner Herrlichkeit sind, die wir vorher ⟨schon⟩ auf den Christus gehofft haben. […] Der ist die Anzahlung auf unser Erbe, auf die Erlösung ⟨seines⟩ Eigentums hin zum Preis seiner Herrlichkeit“ (vgl. Eph 1,3ff).

 

„Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern“ (Mt 28,19). Bildquelle: AdobeStock @ andranik123

 

4. Wer soll evangelisieren?

Obwohl es durchaus die auf eine bestimmte Person bezogene Berufung zum Evangelisten gibt, von der die Schrift deutlich redet (vgl. Eph 4,11), sollte es dennoch offenkundig und klar sein, dass jeder Christ die von Gott gegebene allgemeine Berufung dazu hat, am Dienst der Verkündigung der Frohen Botschaft eifrig teilzunehmen. Wie bereits oben beschrieben, hängt dies direkt mit der Erfahrung der Herrlichkeit der Errettung zusammen: „Wer gerettet ist, ist dazu berufen, [andere] zu retten.“

 

Kurze Zeit nach der göttlich autorisierten Gründung der Urgemeinde in Jerusalem am Tag der Pfingsten lesen wir in der Apostelgeschichte einen unglaublich packenden und faszinierenden Satz aus dem Mund eines die Apostel zur Rede stellenden Hohepriesters: „Wir haben euch streng geboten, in diesem Namen nicht zu lehren, und siehe, ihr habt Jerusalem mit eurer Lehre erfüllt und wollt das Blut dieses Menschen auf uns bringen“ (vgl. Apg 5,28) oder an anderer Stelle von den durch die Verfolgung im Zusammenhang mit der Steinigung des Stephanus Zerstreuten: „Die Zerstreuten nun gingen umher und verkündigten das Wort“ (Apg 8,4). Von der Samariterin, der Jesus am Brunnen Jakobs begegnete, heißt es: „Die Frau nun ließ ihren Wasserkrug stehen und ging weg in die Stadt und sagt zu den Leuten: Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe! Dieser ist doch nicht etwa der Christus? […] Aus jener Stadt aber glaubten viele von den Samaritanern an ihn um des Wortes der Frau willen“ (Joh 4,28-29;39a).

 

Diese Stellen bezeugen in aller Schärfe, dass das Evangelium dort, wo es auf fruchtbaren Herzensboden gefallen ist, die Hörer dazu bewegt hat, Seine Botschaft unter Wirkung des Heiligen Geistes auch anderen weiterzugeben. Wie ließe sich sonst die rapide Verbreitung des Christentums in der damaligen bekannten Welt erklären? Gott verlangt von uns nichts Unmögliches, obgleich Er uns schwache Gefäße dazu gebraucht, Unmögliches möglich zu machen: „Denn seht, eure Berufung, Brüder, dass es nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Edle sind; sondern das Törichte der Welt hat Gott auserwählt, damit er die Weisen zuschanden macht; und das Schwache der Welt hat Gott auserwählt, damit er das Starke zuschanden macht“ (1.Kor 1,26-27). Gott hat in Seinem weisen und unausforschlichen Plan der Errettung vorgesehen, durch Seine Gemeinde – die wiederum aus vielen einzelnen lokalen Kirchengemeinden besteht – das Wort von der Versöhnung bekannt zu machen und es „an den Mann zu bringen“. Jeder dort, wo er steht, arbeitet und lebt: „damit jetzt […] durch die Gemeinde die mannigfaltige Weisheit Gottes zu erkennen gegeben wird“ (Eph 3,10).

 

Will Durant verfasste eine kraftvolle Aussage, welche die gemeinsame Erfüllung dieser edlen Aufgabe durch die leidgeprüfte Gemeinde Christi im Verlauf der Geschichte, den härtesten Verfolgungen trotzend, zur Sprache bringt: „Es gibt kein größeres Drama in der Geschichte der Menschheit als die Szene einiger weniger Christen, die von einer Reihe von Kaisern verachtet oder unterdrückt wurden. Sie ertrugen alle Prüfungen mit äußerster Beharrlichkeit, vermehrten sich im Stillen, bauten Ordnung auf, während die Feinde Chaos anrichteten, bekämpften das Schwert mit dem Wort, Brutalität mit Hoffnung und besiegten schließlich den stärksten Staat, den die Geschichte jemals kannte: Cäsar und Christus trafen in der Arena aufeinander, und Jesus Christus hatte gesiegt.“

 

5. Wie sollen wir evangelisieren?

Einer der Landsmänner unserer Breitengrade mit Namen Philipp Spitta verfasste einmal eine zu dieser Frage passende Strophe des Liedes mit dem Titel: „Geist des Glaubens, Geist der Stärke“. Er dichtete:

 

Gib uns der Apostel hohen,
ungebeugten Zeugenmut,
aller Welt trotz Spott und Drohen
zu verkünden Christi Blut.
Lass die Wahrheit uns bekennen,
die uns froh und frei gemacht;
gib, dass wir‘s nicht lassen können,
habe Du die Übermacht!

Karl Johann Philipp Spitta (1801-1859)

 

Apostel Petrus, von dem in der oben aufgeführten Strophe indirekt auch die Rede ist, schrieb dazu in seinem ersten Brief eine Antwort (vgl. 1.Petr 3,13-17). Dabei nennt er fünf Prinzipien, die wir Jünger Christi entwickeln müssen, wenn wir das Evangelium verkündigen sowie Rede und Antwort zu unserem Glauben stehen wollen.

 

Erstens brauchen wir, angesichts einer „Sekte, der überall widersprochen wird“ (vgl. Apg 28,22), die Bereitschaft, für Gutestun zu leiden.

Zweitens müssen wir Menschen sein, die erfüllt sind von Gottesfurcht, weil sie Christus den Herrn in ihrem Herzen heiligen. Andernfalls werden wir der Menschenfurcht verfallen sein, die uns in diesem verantwortungsvollen und herausfordernden Dienst vollständig lähmen wird.

Drittens müssen wir dabei in Sanftmut und viertens in Ehrerbietung (vergleichbar mit „Respekt“) vorgehen. Völlig klar: Ich kann niemandem erst in Respektlosigkeit die Nase abschneiden, nur um ihm dann eine duftende Rose hinzuhalten, in der Erwartung, er werde ihren herrlichen Duft genießen.

Auf der anderen Seite müssen und dürfen wir, nach dem Vorbild der Apostel, unerschütterlich an den biblischen Glaubensüberzeugungen festhalten.

Fünftens, so schreibt Petrus, ist es unabdingbar, ein gutes Gewissen zu haben. Keiner wird unserer Botschaft Glauben schenken, wenn wir sie nicht vor den Augen derer, denen wir Zeugnis ablegen, auch ausleben. Oft genug können trockene Worte nicht den Gehalt an gedanklicher Tiefe wiedergeben, welche die Poesie und Dichtung in ihrer Sprachgewalt auszudrücken und eingängig zu machen vermag. Auf die Frage nach dem „Wie“ schrieb Fanny Jane Crosby zu ihrer Zeit einmal folgendes Lied, welches den Nagel auf den Kopf trifft:

 

Habt ihr treulich gesuchet die Schafe,
die auf felsigem Pfade verirrt,
mit nie rastender Hirtentreue,
wie Jesus uns sucht, unser Hirt?
Seid der Spur ihr gefolgt im Tale,
durch der Schluchten unheimliche Nacht,
bis ihr matt, doch mit jauchzendem Herzen
euer Schaf zu der Hürde gebracht?

Habt die einsamen, trauernden Herzen
ihr mit tröstender Liebe besucht,
wo vereint im Gebet gebeuget
den Kummer zu Jesu ihr trugt?
Habt zu Jesu die Sünderherzen
und zum Kreuz ihr die Blicke gelenkt,
bis die Tränen der Freude geflossen
und das Lamm ihnen Frieden geschenkt?

Habt zur Wohnung der darbenden Armen
ihr die Gabe der Liebe gebracht?
Habt ihr oftmals im Geiste Jesu
am Bette der Kranken gewacht?
Hobt die Blumen ihr auf am Wege,
die zertreten schon lagen im Staub?
Habt ihr Jesu zum Kranz sie gewunden
und der Hölle entrissen den Raub?

Einst wird sammeln der König am Throne
aller Völker unzählbare Schar;
welch ein Lohn wird dem Knechte werden,
der treu in der Liebe hier war!
O welch Glück, wenn sich huldvoll neiget
deines Heilandes Antlitz zu dir:
»Was du tat‘st an dem ärmsten der Brüder,
Hast zugleich du getan, auch an Mir.«

Fanny Jane Crosby (1820-1915)
(Rechte: Oncken-Verlag, Wuppertal und Kassel)

 

Daniel Asmus

Gemeinde Bielefeld

 

Alle Bibelstellen sind der Elberfelder Übersetzung entnommen.