Die Macht einer Predigt und die verheerenden Folgen einer ungeistlichen Predigt

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Die Macht einer Predigt und die verheerenden Folgen einer ungeistlichen Predigt

2022-09-03T14:22:53+02:0030. August 2022|

Die besten Gaben können, falsch angewandt, die bittersten Früchte tragen. Die Sonne gibt Leben, aber ein Hitzschlag kann zum Tode führen. Das Predigen soll Leben wirken; es kann auch töten. Der Prediger hat die Schlüssel in der Hand. Er kann zuschließen und aufschließen. Das Predigen ist das große Amt Gottes für das Pflanzen und Gedeihen geistlichen Lebens.

Wenn es in rechter Weise ausgeübt wird, sind seine Wohltaten nicht zu zählen. Wenn es hingegen nicht in rechter Weise verwaltet wird, kann kein Übel seine verheerenden Wirkungen übertreffen. Es ist leicht, die Herde zu zerstreuen, wenn der Hirte nicht auf der Hut ist oder wenn die Weide vernichtet ist. Es ist leicht, die Festung zu stürmen, wenn der Wächter schläft oder Speise und Wasser vergiftet sind. Der Prediger ist mit solch großen Vorrechten ausgestattet, so vielen Gefahren ausgesetzt. Er trägt eine ungeheure Verantwortung. Angesichts alles dessen ist der Ausruf und die Frage des Apostels Paulus niemals überflüssig: »Wer ist dazu tüchtig?«

 

Paulus sagt: »Unsere Tüchtigkeit ist von Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.« Der wahre Diener ist von Gott bevollmächtigt, befähigt und ausgerüstet. Der Geist Gottes salbt den Prediger; die Frucht des Geistes ist in seinem Herzen.

Der Geist Gottes macht den Prediger und das Wort lebendig. Sein Predigen spendet Leben wie eine Quelle, spendet Leben wie die Auferstehung, spendet glühendes Leben wie der Sommer, schafft fruchtbares Leben wie der Herbst. Der lebenspendende Prediger ist ein Gottesmann, dessen Herz stets nach Gott dürstet, dessen Blick nur auf Gott gerichtet ist und in dem durch die Kraft des Geistes Gottes das Fleisch und die Welt gekreuzigt sind. Sein Dienst ist wie die breite Flut eines lebenspendenden Stromes.

 

Die Gefahr einer ungeistlichen Predigt

Predigen, welches tötet, ist ungeistliches Predigen. Die Fähigkeit, so zu predigen, ist nicht von Gott. Geringere Kräfte als göttliche Kräfte haben ihm Stärke und Antrieb gegeben. Der Geist ist weder im Prediger noch in seiner Predigt zu spüren. Durch solches Predigen, welches tötet, können Kräfte verschiedener Art geweckt und angeregt werden, aber es sind keine geistlichen Kräfte. Sie mögen geistlichen Kräften ähnlich sein; sie sind jedoch nur deren Schatten und Nachahmung. Sie scheinen vielleicht Leben zu haben, doch dieses Leben ist nicht echt.

Die Buchstabenpredigt tötet, wie wohlgeformt und geordnet sie auch sein mag, – es ist doch nur der Buchstabe, der trockene, dürre Buchstabe, die leere Schale. Das Predigen des Buchstabens ist ohne göttliche Salbung; es ist weder gereift noch gesalbt durch den Geist. Es mag Tränen geben, aber Tränen können Gottes Werk nicht in Bewegung setzen; Tränen sind manchmal nur wie ein Sommerhauch auf einem schneebedeckten Eisberg, nur von oberflächlicher Wirkung.

Es mögen Gefühle und ein ernstes Streben vorhanden sein, aber es gleicht der Gemütsbewegung eines Schauspielers und der ernsten Miene eines Anwalts. Der Prediger mag seine Gefühle von seinen eigenen Funken entzünden und sich über seine eigene Auslegung ereifern und mit Ernsthaftigkeit das Ergebnis seiner eigenen Gedanken weitergeben. Der Professor kann sich in die Rolle des Apostels hineinversetzen und dessen Feuer nachahmen. Gehirn und Nerven mögen sich an die Stelle des Geistes Gottes setzen und Sein Werk vortäuschen. Durch diese Kräfte mag der Buchstabe glühen und funkeln wie ein geisterleuchteter Text, aber das Glühen und Funkeln ist so unfruchtbar wie das Feld, auf das Perlen gesät werden.

 

Das große Hindernis ist der Prediger selbst. Er hat nicht die mächtigen, Leben schaffenden Kräfte in sich. An seiner Rechtgläubigkeit, Ehrlichkeit, Reinheit und seinem Ernst mag nichts auszusetzen sein; aber irgendwie hat der Mann in seinem Innern nie kapituliert und sich Gott ausgeliefert. Sein inneres Leben ist kein Kanal, durch den die Botschaft in der Kraft Gottes fließen kann.

Irgendwie regiert noch das Ich und nicht Gott im Innersten dieses Menschen. Irgendwo, ihm selbst völlig unbewusst, wird der göttliche Strom in ihm aufgehalten und kann nicht weiterfließen. Er hat in seinem Innern noch nie seinen geistlichen Bankrott, seine völlige Kraftlosigkeit gefühlt. Er hat noch nicht gelernt, mit einem Schrei der Selbstverzweiflung und Hilflosigkeit zu rufen, bis Gottes Kraft und Gottes Feuer über ihn kommt und ihn erfüllt, reinigt und bevollmächtigt. Er schätzt sich selbst und seine Fähigkeiten zu hoch ein und entweiht und verletzt damit den Tempel, der für Gott heilig gehalten werden sollte.

 

Lebenspendendes Predigen kostet den Prediger viel – den Tod des Ich, die Kreuzigung der Welt gegenüber, die Last auf seiner eigenen Seele. Nur gekreuzigtes Predigen kann Leben spenden, und gekreuzigtes Predigen kann nur von einem gekreuzigten Menschen kommen.

 

Das Buchstabenpredigen

Tötendes Predigen mag eine gewisse Erkenntnis haben und die Grundgedanken erfassen. Es mag gelehrt und kritisch sein, kann vielleicht jede Einzelheit des Ursprungs und die genaue Grammatik des Buchstabens wissen. Es kann das Wort studieren, wie ein Rechtsgelehrter seine Bücher studiert, um seinen Schriftsatz abzufassen oder seinen Fall zu verteidigen, – und doch wirkt es dabei wie tötender Frost.

Das Buchstabenpredigen mag wortgewandt sein, mit Poesie und Rhetorik verziert, mit Gebet besprengt, mit Sensation gewürzt, von einem hohen Geist erleuchtet, – und doch gleicht es nur einem teuren Sarg und den seltenen und schönen Blumen, die die Leiche schmücken. Das Predigen, das tötet, kann andererseits auch ungelehrt sein, ohne Frische der Gedanken und Gefühle. In einem nachlässigen, unregelmäßigen Stil verliert es sich in geschmacklosen Allgemeinheiten oder faden Besonderheiten. Es hat weder den Hauch des Gebetskämmerleins noch des Studierzimmers und zeichnet sich weder durch gute Gedanken noch durch Ausdruck noch durch Gebet aus.

Wie trostlos ist solches Predigen! Dieses Predigen des Buchstabens befasst sich mit der Oberfläche und dem Schatten der Dinge und nicht mit den Dingen selbst. Es dringt nicht in das Innere durch. Es hat keine tiefe Einsicht in das verborgene Leben des Wortes Gottes und erfasst es auch nicht. Es ist äußerlich wahr, aber die Außenseite ist nur die Hülle, die zerbrochen werden muss, um bis zum Kern durchzudringen. Der Buchstabe kann so gekleidet sein, dass er anzieht und modern wirkt, aber seine Anziehungskraft bezieht sich nicht auf Gott, und im Himmel gibt es diese Mode nicht.

 

Keine Predigt ohne Gottes Gegenwart

Das Versagen liegt beim Prediger. Gott hat ihn nicht geformt. Er war nie in Gottes Händen wie Ton in der Hand des Töpfers. Er ist beschäftigt mit der Predigt, ihrem Leitgedanken und ihrem Schluss, ihrer Linie und ihren beeindruckenden Kräften; aber er hat nie die Tiefen Gottes gesucht, erforscht und erlebt. Er hat nie vor dem »hohen und erhabenen Thron« gestanden, nie das Lied der Seraphim gehört. Er hat nie den Hauch jener ehrfurchtgebietenden Heiligkeit gespürt und in völliger Selbstaufgabe und Qual unter dem Bewusstsein von Schwachheit und Schuld gestöhnt. Er hat nie von der lebendigen Kohle von Gottes Altar sein Leben erneuern, sein Herz berühren, reinigen und entflammen lassen.

Sein Dienst mag die Menschen zu seiner Person, zur Kirche, zu der äußeren Form hinziehen, aber nicht zu Gott, nicht zu einer heiligen Gemeinschaft mit Ihm. Die Kirche wird bemalt, aber nicht aufgebaut, zufriedengestellt, aber nicht geheiligt. Das Leben wird unterdrückt. Die Stadt unseres Gottes wird die Stadt der Toten; die Gemeinde ein Friedhof, – nicht ein zur Schlacht gerüstetes Heer. Lobpreis und Gebet werden erstickt; die Anbetung ist tot. Der Prediger und sein Predigen helfen dadurch zur Sünde und nicht zur Heiligkeit und bevölkern die Hölle statt den Himmel.

 

„Der Prediger, der im Gebet schwach ist, ist auch schwach in seiner Aufgabe.“ Bildquelle: AdobeStock_491360861 @ theevening

 

Keine Predigt ohne Gebet

Tötendes Predigen ist Predigen ohne Gebet. Ohne Gebet schafft der Prediger Tod und nicht Leben. Der Prediger, der im Gebet schwach ist, ist auch schwach in seiner Aufgabe, lebenspendende Kräfte zu vermitteln. Der Prediger, der das Gebet als ausschlaggebendes Element in seinem persönlichen Leben vernachlässigt, hat sein Predigen seiner lebenspendenden Kraft beraubt.

Es gibt noch berufsmäßiges Beten, aber berufsmäßiges Beten hilft dem Predigen nur in seiner tötenden Wirkung. Berufsmäßiges Beten dämpft und tötet sowohl die Predigt als auch das Gebet. Ein großer Teil der mangelhaften Hingabe und der bequemen, geringschätzigen Haltung beim gemeinsamen Gebet ist dem berufsmäßigen Beten auf der Kanzel zuzuschreiben.

Auf vielen Kanzeln sind die Gebete lang, weitschweifig, trocken und leer. Da sie ohne Salbung und ohne Geist sind, fallen sie wie ein Frost auf die Anbetung. Es sind abtötende Gebete. Ein Aufruf zu kurzem Beten, lebendigem Beten, Beten, das wirklich aus dem Herzen kommt, Beten durch den Heiligen Geist; – direkt, bestimmt, feurig, einfach – ist angebracht. Eine Schule, die die Prediger das Beten lehrt, so wie Gott das Beten ansieht, wäre weit segensreicher für wahre Frömmigkeit, wahre Anbetung und wahres Predigen als alle theologischen Schulen zusammen.

 

Wie setze ich es um?

Halt! Denken wir doch einmal nach! Wo stehen wir? Was tun wir? Predigen, um zu töten? Beten, um zu töten? Lasst uns beten zu Gott, dem großen Gott, dem Erschaffer aller Welten, dem Richter aller Menschen. Welche Ehrfurcht, welche Einfachheit, welche Aufrichtigkeit, welche Wahrheit in unserem Innern ist dazu erforderlich! Wie aufrichtig müssen wir sein! Wie herzlich!

Gebet zu Gott ist die vortrefflichste Übung, das höchste Bemühen des Menschen, etwas äußerst Wirkliches. Wollen wir nicht auf immer dem abscheulichen, tötenden Predigen und Gebet den Rücken kehren und wirklich so wahrhaftig beten und predigen, dass Leben entsteht? Nur so setzen wir die mächtigste Kraft in Bewegung und nur so nehmen wir aus Gottes unerschöpflicher Fülle, um die Not der Menschen zu stillen.

 

E. M. Bounds (1835 – 1913)

Aus „Kraft durch Gebet“, mit freundlicher Genehmigung von IHREMEDIEN