Gastfreundschaft - eine Ausgangsbasis für das Evangelium

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Gastfreundschaft - eine Ausgangsbasis für das Evangelium

2023-06-28T13:33:03+02:0028. Juni 2023|

Unser Leben ist von Hast und Eile geprägt. Wir haben scheinbar keine Zeit und sind so sehr mit unserem eigenen Leben beschäftigt, dass wir unsere Mitmenschen vergessen. Doch Zeit müssen wir uns nehmen, um noch mehr Menschen von Jesus zu erzählen. Investieren wir unsere Zeit und unsere Besitztümer für Menschen, die Gottes Liebesangebot noch nicht angenommen haben?

 

Der Auftrag, das Evangelium weiterzugeben

Von Anfang an war das Christentum missionarisch ausgerichtet. Bevor Er in den Himmel aufstieg, gab Jesus Seiner kleinen Gruppe von Nachfolgern den Auftrag: „Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern“ (Mt 28,19 oder Lk 24,46-48). Sie folgten eifrig diesem Gebot. In der Beschreibung dieses missionarischen Geistes der ersten Christen schreibt Michael Green, Professor am Regent College: „Die Begeisterung zu evangelisieren, ein herausragendes Merkmal der ersten Christen, ist eines der bemerkenswertesten Charakteristika in der Geschichte der Religionen. Hier waren Männer und Frauen aus jeder sozialen Schicht und Berufsgruppe, aus jeder Nation der bekannten Welt so überzeugt, dass sie das Geheimnis des Universums entdeckt hatten, sich des einen Gottes, den sie kennengelernt hatten, so sicher, dass nichts dem Weitersagen dieser guten Botschaft an andere im Weg stehen durfte.“

 

In dieser frühen Verbreitung des Christentums spielte die Gastfreundschaft eine Schlüsselrolle. Das traf auf zwei Ebenen zu: Erstens war das Heim eine natürliche, bodenständige Basis für die Verbreitung der Botschaft des Evangeliums, zweitens bot die Gastfreundschaft unverzichtbare Unterstützung für reisende Evangelisten und Lehrer.

 

Das Heim als Leuchtturm für das Evangelium

Da sie keine Tempel oder Priester hatten, nutzten die ersten Christen natürlicherweise ihre Häuser für ihre Zusammenkünfte. In seiner umfangreichen, oft zitierten Studie Evangelism of the Early Church sagt Michael Green: „Eine der wichtigsten Methoden der Antike, das Evangelium zu verbreiten, war die Nutzung ihrer privaten Häuser.“ Über das Heim von Aquila und Priscilla schreibt Green weiter: „Häuser wie dieses müssen in der evangelistischen Arbeit der Gemeinde außerordentlich effektiv gewesen sein.“

 

Das bekannte australische Ehepaar Robert und Julia Banks, das leitend in der weltweiten Hausgemeindebewegung tätig ist, betont dasselbe: „Es wird oft vergessen, dass das Christentum, das das Römische Imperium eroberte, im Wesentlichen eine Bewegung war, die von den Häusern ihrer Mitglieder ausging.“ Tatsächlich hielten die frühen Christen alle oder die meisten ihrer Versammlungen in ihren privaten Häusern ab, weil sie als Gemeinschaft keine Gebäude besaßen. Daher war es notwendig, dass Mitglieder der Gemeinden ihre Häuser für Versammlungen zur Verfügung stellten.

So wurde das Heim zu einem Drehpunkt der Evangelisation und Belehrung. Lukas sagt: „Und sie hörten nicht auf, jeden Tag im Tempel und in den Häusern zu lehren und Jesus als den Christus zu verkündigen“ (Apg 5,42). Auch Paulus benutzte das Heim als Ausgangspunkt zur Verkündung von Gottes Wort. Zu den Ältesten in Ephesus konnte Paulus sagen: „Wie ich nichts zurückgehalten habe von dem, was nützlich ist, dass ich es euch nicht verkündigt und euch gelehrt hätte, öffentlich und in den Häusern“ (Apg 20,20; siehe auch Apg 28,23).

 

Die ersten Heiden, die zum Glauben kamen, hatten sich nicht in einer Kathedrale bekehrt, sondern in dem Haus von Kornelius. Die Schrift berichtet, dass Kornelius seine Verwandten und Freunde einlud, damit sie gemeinsam hörten, wie Petrus die Botschaft der Erlösung erklärte (vgl. Apg 10,24). Bei diesem Ereignis bekehrten sich Kornelius, seine Familie und seine Freunde. Und ebenso nutzte Matthäus, nachdem er seinen Beruf aufgegeben hatte, um Jesus nachzufolgen, sein Zuhause, um seinen Freunden zu evangelisieren: „Und Levi machte ihm ein großes Mahl in seinem Haus; und da war eine große Menge von Zöllnern und anderen, die mit ihnen zu Tisch lagen“ (Lk 5,29). Wir sollten alle von Matthäus und Kornelius lernen, mutig Freunde und Nachbarn in unser Heim einzuladen, um von Jesus zu hören.

 

Natürlich ist Jesus das Paradebeispiel dafür, wie Menschen durch die Tür der Gastfreundschaft erreicht werden. Als Erlöser von Sündern nahm Er gern die Einladungen von Steuereintreibern und öffentlichen Sündern an (vgl. Mk 2,16 und Lk 15,12 und 19,1-10). Die religiösen Führer Seiner Zeit hatten jedoch vor solchen Menschen ihre Türen verschlossen, damit sie nicht religiös unrein wurden.

 

Unser Zuhause als ein Ort der Evangelisation

Für die ersten Christen war das private Haus die natürlichste Umgebung, wenn es darum ging, ihren Familien, Nachbarn und Freunden von Jesus zu erzählen. Das ist heute noch so. Wenn Sie und/oder Ihre örtliche Gemeinde nach Wegen suchen zu evangelisieren, dann ist das Öffnen Ihres Heims eine der besten Methoden, um verlorene Menschen zu erreichen. Die meisten von uns nutzen jedoch ihr Zuhause nicht so, wie sie es sollten, um Nachbarn, Freunde und Verwandte zu erreichen. Tragischerweise kennen viele von uns unsere Nachbarn nicht einmal. Doch durch Gastfreundschaft können wir sie kennenlernen und in geistlich dunklen Nachbarschaften ein Licht sein.

 

Nachbarn und Freunde zu uns nach Hause zum Essen einzuladen, bietet die perfekte Atmosphäre, um das Evangelium weiterzusagen. Unser Herr nutzte effektiv Tischgespräche, um Menschen in geistliche Diskussion hineinzuführen und lebensverändernde Begegnungen herbeizuführen (vgl. Lk 7,36-50 und 11,37-54 und 14,1-24). Das Evangelium selbst ist eine Einladung Gottes, Gemeinschaft und ein üppiges Festmahl in der Ewigkeit zu genießen (vgl. Lk 14,16-24 und Joh 14,2-3).

 

Evangelistische Hausbibelkreise sind auch eine sehr effektive Möglichkeit, Menschen zu erreichen, weil die Atmosphäre unbedrohlich, informell, gemütlich, entspannt und persönlich ist. Außerdem kann man nach der Bibelstunde gut, noch längere Unterhaltungen führen, was sonntagmorgens in der Gemeinde oft nicht möglich ist.

 

Ein praktisches Beispiel

Wenn wir nur unsere Augen öffnen würden, könnten wir sehen, dass es reichlich Gelegenheiten gibt, unser Zuhause zu nutzen, um Freunde und Nachbarn mit dem Evangelium zu erreichen. Gott freut sich, wenn wir unsere vier Wände nutzen, um große Dinge zu tun. Der Gründer der Navigatoren, Dawson Trotman, zum Beispiel nutzte sein Heim, um viele Soldaten zu Christus zu führen. Nach mehreren Jahren großzügiger Gastfreundschaft gegenüber Matrosen konnte er sagen, dass Soldaten aus jedem Bundesstaat der USA in seinem Wohnzimmer zu Christus gekommen waren.

In seinem Buch Evangelisation: Ein Lebensstil erzählt Jim Petersen eine interessante Geschichte von einem Brasilianer namens Mario, mit dem er vier Jahre lang gemeinsam in der Bibel gelesen hatte, ehe der junge Mann Christ wurde. Mario war ein marxistischer Intellektueller und politischer Aktivist gewesen – jemand, von dem man nicht annehmen würde, dass er offen fürs Christentum wäre. Einige Jahre nach seiner Bekehrung fragte Mario Jim, ob er wüsste, was ihn dazu gebracht hätte, sich für Jesus zu entscheiden. Jim dachte, es seien vielleicht die vielen Stunden intellektueller Unterhaltung über die Schrift gewesen, aber Mario gab diese Antwort:

„Erinnerst du dich an das erste Mal, als ich bei dir vorbeikam? Wir gingen zusammen in irgendein Restaurant und ich habe mit dir und deiner Familie einen Teller Suppe gegessen. Wie ich so dasaß und euch beobachtete, dich und deine Frau und eure Kinder und wie ihr miteinander umgingt, fragte ich mich: Wann werde ich eine solche Beziehung mit meiner Verlobten haben? Als mir bewusst wurde, dass die Antwort nie war, schlussfolgerte ich, dass ich allein schon, um zu überleben, Christ werden müsste.“

 

Nichtchristen Fürsorge und Liebe zu zeigen, indem wir sie zu uns nach Hause einladen, ist ein kraftvoller Magnet, der Menschen zu Christus zieht. Petersen zitiert auch Bo Smith, Professor am Bethel College, der mit Muslimen arbeitet: „90 Prozent der Evangelisation ist die Liebe. Unser Heim mit anderen zu teilen, gehört zu den liebevollsten, bemerkenswertesten Dingen, die wir tun können, um die Nachricht von Christi Liebe besser zu kommunizieren.“

 

Um jedoch unser Zuhause effektiv nutzen zu können, ist es nötig, unsere Vorstellung von Gastfreundschaft zu erweitern. Wenn wir an Gastfreundschaft denken, schwebt uns meistens die Gemeinschaft mit engen Freunden und Familie vor. Weil wir diesen Menschen am nächsten stehen, wollen wir sie natürlich auch zu uns einladen. Unser Herr erkennt diese Nähe an, fordert uns jedoch auch auf, den Kreis zu erweitern, um nichtverwandte und bedürftige Menschen mit einzuschließen:

Er sprach aber auch zu dem, der ihn eingeladen hatte: Wenn du ein Mittag- oder ein Abendessen machst, so lade nicht deine Freunde ein noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn, damit nicht etwa auch sie dich wieder einladen und dir Vergeltung zuteilwerde. Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Krüppel, Lahme, Blinde ein! Und glückselig wirst du sein, weil sie nichts haben, um dir zu vergelten; denn es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten“ (Lk 14,12-14).

 

Gastfreundschaft als Dienst

Es ist nichts Falsches daran, mit Freunden und Verwandten zu essen. Es ist sogar wichtig, um Familienbeziehungen und Freundschaften zu pflegen. Unser Herr selbst genoss es, mit engen Freunden und geliebten Menschen zu essen. Das Heim von Maria, Martha und Lazarus zum Beispiel besuchte Er sehr gerne (vgl. Lk 10,38-42). Aber Jesus war vor allem bekannt dafür, dass Er mit unerwünschten, unbekannten und nichtreligiösen Menschen aß (vgl. Lk 19,1-10). Und in Lukas 14 lehrte Jesus Seinen Jüngern, die Unwillkommenen willkommen zu heißen. Jesus sagte: „Öffne dein Heim den Vernachlässigten, Einsamen und denen, die sonst niemand einlädt.“

Aus diesem Grund hebt sich die Ausübung christlicher Gastfreundschaft wirklich von der sonst üblichen Gastfreundschaft ab, weil sie sich den ungewollten, bedürftigen Menschen öffnet, die sich nicht revanchieren können. Viele Menschen üben Gastfreundschaft nur, um ihre eigenen gesellschaftlichen Bedürfnisse zu erfüllen. Manchmal ist es eine selbstverherrlichende Show, um andere mit dem eigenen Haus oder seinen Bewirtungskünsten zu beeindrucken. Christliche Gastfreundschaft dagegen ist ein demütiger, opfernder Dienst.

 

Wir alle wollen natürlich angesehene und charmante Gäste haben, aber Jesus sagt, dass wir die Armen und Kranken einladen sollen, die sich nicht revanchieren können. Ich frage mich, ob wir wirklich verstehen, was unser Herr in Lukas 14 vermitteln will. Der verstorbene Francis Schaeffer und seine Frau Edith hatten es auf jeden Fall begriffen. Sie öffneten ihr Zuhause (L‘Abri Fellowship) allen, die der Herr zu ihnen schickte. Sie kümmerten sich um drogenabhängige und psychisch kranke Menschen ebenso wie um diejenigen, die Fragen hatten und geistliche Führung suchten. Mit ihrem Heim und der L‘Abri­Gemeinschaft dienten sie Menschen aus jeder Gesellschaftsschicht und aus aller Welt.

 

Einsame Menschen in unserer Nachbarschaft müssen mit Christi Liebe erreicht werden. Es gibt alleinstehende Menschen, die der liebenden Fürsorge einer Familie bedürfen. Es gibt Witwen, die jeden Tag alleine essen. Es gibt unangenehme Nachbarn, die man nicht gerne um sich hat, aber die dringend erreicht werden müssen. Es gibt Flüchtlinge, die vorübergehende Unterkunft brauchen, ehe sie eine dauerhafte Bleibe finden. Gastfreundschaft könnte das Instrument sein, diese Menschen auf die Liebe des Heilands hinzuweisen.

 

Erkennen Sie das Potenzial, das darin steckt, wenn Sie Ihr Zuhause nutzen, um Christi Liebe zu demonstrieren und Menschen für den Heiland zu gewinnen. Sie müssen nicht ein Prediger sein oder eine jahrelange Ausbildung absolvieren, um Ihr Heim zu nutzen, bedürftige Menschen zu lieben und ihnen zu dienen. Wenn Sie einfach nur Ihre Türen öffnen, werden die Menschen kommen. Um es mit den Worten von William Barclay zu sagen: „Das Christentum war und sollte immer noch die Religion der offenen Tür sein.“

 

Brüderliche Liebe und Gastfreundschaft

Das Thema Gastfreundschaft weckt bei Vielen Befürchtungen. Es wirft viele unbequeme Fragen auf. Wenn sie von ihrer Verpflichtung hören, Gastfreundschaft zu üben, finden die meisten Christen eine Menge kreativer Ausreden, warum sie dieser Pflicht nicht nachkommen können. Und doch gibt es für Christen die Aufforderung, Gastfreundschaft zu üben. In Testaments of Love (Zeugnisse der Liebe), eine der besten Studien zur biblischen Doktrin der Liebe, schreibt Dr. Leon Morris, ehemaliger Vorsteher des Ridley College in Melbourne, Australien:

„Der Gastfreundschaft wurde ganz offensichtlich hoher Wert beigemessen, wie man aus der Anzahl der Ermahnungen, sie zu üben, rückschließen kann. Ich bin überzeugt, dass wir nur durch das Studium des lebendigen, lebenspendenden, lebensverändernden Wortes Gottes hoffen können, unsere Ängste, Ausreden und unsere Apathie in Bezug auf die Gastfreundschaft überwinden zu können. Nur die Macht des Wortes und des Geistes kann uns überzeugen, dass die Gastfreundschaft ein wesentlicher Teil des gesunden christlichen Lebens ist und uns dazu bewegen zu handeln.“

 

Paulus ordnet den Christen in Rom die Gastfreundschaft an: „An den Bedürfnissen der Heiligen nehmt teil; nach Gastfreundschaft trachtet!“ (Röm 12,13). Um die Bedeutung dieser kurz gehaltenen Ermahnung voll zu erfassen, müssen wir den weiteren Kontext, in dem sie auftaucht, untersuchen, beginnend mit Römer 12,1‑2. Paulus ermutigt die Christen hier, sich Gott als lebendige Opfer hinzugeben, die sich nicht dem Bösen dieser Welt anpassen, sondern verwandelt sind durch die Erneuerung ihres Sinnes, der Gottes Willen erkennt:

Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmung Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, Gott wohlgefälliges Opfer, was euer vernünftiger Gottesdienst ist. Und seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung des Sinnes, dass ihr prüfen mögt, was der Wille Gottes ist: Das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.

 

Sofort im Anschluss an diese herausfordernden Verse zur persönlichen Hingabe macht Paulus spezifische Aussagen, die erklären, was es im täglichen Leben ganz praktisch heißt, einen erneuerten Sinn zu haben und gemäß Gottes Willen zu leben.

Zuerst spricht Paulus von der Demut und der Ausübung von geistlichen Gaben (Verse 3-8). Als Nächstes erstellt er eine Serie von kurzen Aufforderungen rund um das Thema Liebe: „Die Liebe sei ungeheuchelt [...] In der Bruderliebe seid herzlich zueinander“ (Verse 9-10a). Der Bibelkommentator Charles E. B. Cranfield schlägt als Überschrift für die Verse 9-13: Liebe in Aktion oder Die Zeichen der Liebe vor. Die Erinnerung, Gastfreundschaft zu üben, erscheint also im Kontext der Liebe und des aufopfernden christlichen Lebens. Liebe und Gastfreundschaft gehören immer zusammen.

 

Wenn Sie einfach nur Ihre Türen öffnen, werden die Menschen kommen. „Das Christentum war und sollte immer noch die Religion der offenen Tür sein.“ (William Barclay). Bildquelle: AdobeStock_133777214 @ sek_gt

 

In Liebe jedem gegenüber Gastfreundschaft üben

Als Brüder und Schwestern in Christus sollen wir eine eng verbundene Familie sein. Wir sollen Zeit miteinander verbringen, einander lieben und uns umeinander sorgen. Das können wir nicht tun, wenn unsere Türen geschlossen bleiben. Gastfreundschaft ist also ein wunderschöner Ausdruck unseres verwandelten Lebens, das Gott ganz hingegeben ist. Lassen Sie uns auch nicht die Tatsache übersehen, dass die Verse 9-13 geisteingegebene Gebote sind, die jeder Christ in jeder Kultur befolgen soll. Das Neue Testament deutet an keiner Stelle darauf hin, dass nur bestimmte Menschen oder bestimmte Kulturen die Fähigkeiten haben, gastfreundlich zu sein.

Im Gegenteil: Es zeigt vielmehr die Gastfreundschaft als wesentlichen Teil der brüderlichen und schwesterlichen Liebe und christlicher Gemeinschaft. Da uns geboten wird, einander so zu lieben, wie Christus uns geliebt hat, sollte es uns nicht überraschen, dass wir im Neuen Testament aufgefordert werden, gastfrei zu sein. Dies ist etwas, das alle Christen im Gehorsam Gott gegenüber tun sollten. Helga Henry, die Frau des Autors und Theologen Carl F. H. Henry, drückt dies unmissverständlich aus: „Christliche Gastfreundschaft ist nichts, was man sich aussuchen kann; sie ist keine Sache des Geldes; sie ist keine Sache des Alters, der gesellschaftlichen Stellung, des Geschlechts oder der Persönlichkeit. Christliche Gastfreundschaft ist eine Sache des Gehorsams Gott gegenüber.“

 

In seinem Kommentar schreibt Richard C. H. Lenski: „Im Blick auf die Gastfreundschaft: Jagt ihr nach! […] Gastfreundschaft soll im wahrsten Sinne des Wortes gejagt werden, wie man ein Tier jagt und sich daran erfreut, die Beute nach Hause zu tragen.“ Viele weitere Kommentatoren betonen diesen Gedanken des aktiven Nachjagens der Gastfreundschaft. Godet bemerkt: „Wir sollten sogar nach Gelegenheiten suchen, sie auszuüben.“

John Murray schreibt: „Wir sollen aktiv sein in dem Streben nach Gastfreundschaft und sie nicht nur – vielleicht sogar nur widerwillig – erweisen […], wenn die Notwendigkeit sie unumgänglich macht.“ Robert Haldane, einer der großen Kommentatoren des Römerbriefes schreibt: „Wir werden hier nicht nur angewiesen, Gastfreundschaft zu üben, sondern – nach der Bedeutung des Urtextes – ihr nachzujagen oder nach ihr zu trachten. Christen sollen nach Gelegenheiten suchen, auf diese Weise Liebe für ihre Geschwister zu bekunden.“

Bitte erlauben Sie mir, die folgenden Fragen zu stellen: Jagen Sie eifrig Gelegenheiten nach, Gastfreundschaft zu üben oder ist das etwas, das Sie nur zu Feiertagen und zu besonderen Anlässen tun? Verstehen Sie die wichtige Rolle der Gastfreundschaft innerhalb der christlichen Gemeinschaft? Sehen Sie den Zusammenhang zwischen brüderlicher Liebe und Gastfreundschaft? Nur wenn wir verstehen, dass der Geist Gottes uns auffordert, Gastfreundschaft zu üben, werden wir ausreichend motiviert sein, anderen unsere Häuser aufopfernd zu öffnen.

 

Gastfreundschaft gerne ausüben

Die Verknüpfung zwischen christlicher Liebe und Gastfreundschaft wird in 1.Petrus 4 noch deutlicher betont als in Römer 12: „Vor allen Dingen aber habt untereinander eine anhaltende Liebe! Denn die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden. Seid gastfrei gegeneinander ohne Murren! Wie jeder eine Gnadengabe empfangen hat, so dient damit einander als gute Verwalter der verschiedenartigen Gnade Gottes!“ (1.Petr 4,8-10).

 

Die Christen, an die Petrus hier schreibt, erlitten bittere Verfolgung (vgl. 1.Petr 4,12-19). Im Angesicht heidnischer Anfeindungen weiß Petrus, dass innige Liebe und Einheit unter Christen von großer Bedeutung sind, wenn es darum geht, in den rauen Stürmen der Verfolgung bewahrt zu bleiben. Also drängt Petrus seine Brüder und Schwestern, anhaltende Liebe untereinander zu haben (Vers 8).

 

Das griechische Wort für anhaltend übermittelt die Vorstellung von Ernsthaftigkeit, dauerhafter Bemühung oder Entschlossenheit. Cranfield warnt: „Anhaltend gibt vielleicht die falsche Nuance; denn es könnte andeuten, dass die Betonung auf der Wärme des Gefühls liegt, obwohl das griechische Wort, für das es steht, eher den angespannten Muskel anstrengender und anhaltender Bemühung andeutet, wie bei einem Athleten. Es deutet eine bestimmte Zähigkeit der Liebe an, Liebe, die durchhält.“

 

Als Christen sollten wir uns deshalb voll verausgaben in der Liebe zueinander. Eine sehr praktische Art, unsere Liebe auszudrücken ist, Gastfreundschaft zu üben. Gastfreundschaft facht die Flammen der Liebe an. Sie fördert und erhält die Liebe. Sie bereichert und vertieft agape-Liebe. Sie erneuert Liebe. Deswegen folgt auf Petrus‘ Ermahnung, innig zu lieben, wie selbstverständlich das Gebot, gerne Gastfreundschaft zu üben.

 

Es ist wichtig zu verstehen, was für eine Art von Gebot Petrus hier gibt. Das Gebot, Gastfreundschaft zu üben (Verse 8), ist eines von vielen Einander­-Geboten im Neuen Testament. Christen werden angehalten, einander zu lieben, füreinander zu beten, einander zu dienen, einander zu ermahnen, einander aufzubauen, füreinander zu sorgen, die Lasten füreinander zu tragen, und hier, einander gegenüber gastfrei zu sein. Das reziproke (wechselseitige) Pronomen einander in diesem Vers deutet an, dass Petrus sich auf die generelle Gastfreundschaft von Christen untereinander bezieht, nicht nur auf die für reisende Christen oder Lehrer. Er spricht hier von der alltäglichen Gastfreundschaft.

Da wir „untereinander jeder einer des anderen Glied sind“ (Röm 12,5), sollen wir alle die Liebe und Fürsorge von Jesus Christus aneinander üben. Das ist ein Teil des Lebens im Leib Christi. Das ist Teil der dynamischen Wechselbeziehung, die zwischen den Gliedern des Leibes Christi existiert. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft sollen also gegenseitig Gastfreundschaft üben.

 

In der sogenannten Brüderbewegung, die im England des letzten Jahrhunderts entstand, nahm man Petrus‘ Aufforderung, einander gegenüber gastfrei zu sein, sehr ernst. Nathan Smith schreibt in einer historischen Abhandlung über die Brüderbewegung, die insbesondere mit dem berühmten Mann des Glaubens und Waisenhausdirektors Georg Müller (1805-1898) in Verbindung gebracht wird: „Sie besuchten einander freimütig in ihren Häusern und trafen sich oft zum Essen und zur Gemeinschaft. In den frühen Tagen wurden sie bekannt als diejenigen, die alles aufgaben und allen Menschen gegenüber Gastfreundschaft zeigten. Diese letzte Eigenschaft trifft im Wesentlichen immer noch zu, denn die Brüder sind bekannt als Menschen, die die Gastfreundschaft pflegen.“

 

Wie traurig, dass nicht alle christliche Bewegungen, Denominationen und örtliche Gemeinden für ihre großzügige, liebevolle Gastfreundschaft bekannt sind. Meistens sind es nur ein paar wenige Familien innerhalb einer örtlichen Gemeinde, die jemals den Dienst der Gastfreundschaft ausüben. Unglücklicherweise ist vielen Christen nicht wirklich bewusst, welches Ausmaß an Liebe und Verbundenheit verloren geht, wenn nur ein oder zwei Familien in der örtlichen Gemeinde Gastfreundschaft üben. Die Schrift ermahnt alle Glieder der Gemeinde, gastfrei zu sein, damit sie vollen Anteil haben an dem Leben des Leibes Christi.

 

Alexander Strauch

 

Aus Platz ist in der kleinsten Hütte – Vom Segen der Gastfreundschaft, Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg