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Richard Wurmbrand, ein Pfarrer aus Rumänien, verbrachte vierzehn Jahre unter Folter in Haft unter der Macht der Kommunisten. Nach seiner Freilassung berichtet er über die Arbeit der Märtyrerkirche und den Grausamkeiten, die er und andere Christen erleiden mussten. Trotz aller Schwierigkeiten blieben sie standhaft und hielten am Glauben fest.
Ein Atheist findet zu Christus
Ich wuchs in einer Familie auf, in der keine Religion anerkannt wurde und während meiner Kindheit erhielt ich keinerlei religiöse Unterweisung, sodass ich bereits mit vierzehn Jahren ein überzeugter, verhärteter Atheist war. Dennoch wurde mir – wie ich später begreifen durfte – die Gnade zuteil, einer der von Gott Erwählten zu sein, aus Gründen, die ich mit der Vernunft nicht begreife. Obwohl ich Atheist war, zog mich ständig etwas Unerklärliches in die Kirchen. Es fiel mir schwer, an einer Kirche vorbeizukommen und nicht hineinzugehen. Ich lauschte den Predigten, aber sie drangen nicht in mein Herz ein und so war ich mir sicher, dass es keinen Gott gab.
Eines Tages ertappte ich mich dabei, wie ich zu Gott betete und Ihn bat, sich mir zu offenbaren und Seine Existenz zu bestätigen. Zur selben Zeit betete in einem Dorf in den Bergen Rumäniens ein alter Schreiner zu Gott, dass Er ihm einen Juden schicken solle, den der alte Mann noch vor seinem Tod zu Christus führen könne. In dieses Dorf zog es mich schließlich. Als der Schreiner erfuhr, dass ich ein Jude war, warb er um mich. In mir sah er die Antwort auf sein Gebet und gab mir die Bibel zu lesen. Ich hatte die Bibel bereits früher gelesen, weil es zur Allgemeinbildung gehörte.
Aber die Bibel, die er mir gab, war eine Bibel von anderer Art, denn diese Bibel war eigentlich nicht in Buchstaben geschrieben, sondern in Flammenzeichen der Liebe, die seine Gebete entzündet hatten. Diese Bibel konnte ich nur mit Mühe lesen; ich konnte nur darüber weinen, wenn ich mein schlechtes Leben mit dem Leben Jesu verglich. Und Er nahm mich an, damit auch ich zu den Seinen gehörte. Bald nach mir bekehrte sich auch meine Frau zu Gott. Sie brachte weitere Menschen zu Christus und diese wiederum brachten wieder andere zu Christus, so entstand unsere Gemeinde in Rumänien.
Dann kam die Nazizeit und wir mussten viel leiden. Lange bevor ich für mein geistliches Amt ausgebildet wurde, war ich bereits der Leiter der Kirche, da ich der Gründer war und die Verantwortung für sie trug. Meine Frau und ich wurden mehrmals verhaftet, geschlagen und vor Nazirichter gezerrt. Der Naziterror war schlimm, aber nur ein Vorgeschmack von dem Schrecken, der unter den Kommunisten kommen sollte.
Trotz allem barg die Zeit unter dem Naziregime einen großen Gewinn, denn sie lehrte uns, dass körperliche Misshandlungen zu ertragen waren und dass die geistige Kraft des Menschen mit Gottes Hilfe selbst fürchterliche Qualen überstehen kann. Sie lehrte uns auch die Methode verborgener Gemeindearbeit, was eine Vorbereitung auf eine weit schlimmere Prüfung war, die über uns kommen sollte – eine Feuerprobe, die uns unmittelbar bevorstand.
Nachdem die Kommunisten an die Macht gekommen waren, gebrauchten sie meisterhaft das Mittel der Täuschung gegenüber den Kirchen, denn die Sprache der Liebe und die Sprache der Verführung klingen gleich. Jesus mahnt uns in Seinem Wort, die Sprache der Verführung von der Sprache der Liebe zu unterscheiden und einen Unterschied zu machen zwischen Wölfen in Schafskleidern und echten Schafen. Tausende Priester, Pfarrer und Prediger konnten die beiden Sprachen nicht unterscheiden.
Die Kommunisten hielten einen Kongress aller christlichen Körperschaften in Bukarest ab. Dort versammelten sich viertausend Priester, Pastoren und Prediger aller Religionsgemeinschaften und wählten Joseph Stalin zum Ehrenpräsidenten dieses Kongresses. Gleichzeitig war Stalin amtierender Präsident des Weltverbandes der Gottlosenbewegung und ein Massenmörder von Christen. Einer nach dem anderen erhob sich und erklärte öffentlich, dass der Kommunismus und das Christentum in ihren Grundlagen gleich seien und friedlich nebeneinander bestehen könnten. Ein Geistlicher nach dem anderen fand preisende Worte für den Kommunismus und versicherte der neuen Regierung die treue Mitarbeit der Kirche.
Meine Frau, welche neben mir saß, forderte mich auf, aufzustehen und die Schande vom Antlitz Christi zu waschen, da sie keinen Mann als Feigling haben wollte. So stand ich auf und pries nicht die Mörder der Christen, sondern Christus und Gott und sagte, dass wir zuallererst Ihm unsere Treue schulden. Der Kongress wurde durch den Rundfunk übertragen, sodass das ganze Land die Botschaft von Jesus Christus hören konnte. Später musste ich dafür bezahlen, aber dies war es mir wert.
Durch die Machtergreifung des Kommunismus und durch den Verrat vieler offizieller Kirchenführer wurden wir gezwungen, eine Untergrundkirche zu schaffen, da es verboten wurde, die frohe Botschaft zu verkünden und Kinder für Jesus Christus zu gewinnen. So begann ich, Gemeindearbeit im Geheimen zu betreiben. Nach außen hin hatte ich eine sehr angesehene soziale Stellung, die mit meiner eigentlichen verborgenen Reichsgottesarbeit nichts zu tun hatte und nur als Deckmantel diente. Ich war Pastor der norwegischen lutherischen Mission und gleichzeitig arbeitete ich im rumänischen Ausschuss des Weltkirchenrates. Diese beiden Ämter gaben mir einen sehr guten Stand gegenüber den Behörden, die von meiner Untergrundarbeit nichts wussten.
Ein Volk mit dürstenden Seelen
Die Soldaten der Roten Armee waren überwiegend Russen. Es war für mich ein wahrhaft himmlisches Erlebnis, den Russen die Botschaft des Evangeliums zu verkünden. Nie zuvor habe ich ein Volk erlebt, das das Evangelium so tief in sich aufsaugt wie die Russen. An einem Tag kam ein russischer Offizier zu mir, der sich nach Gott sehnte. Er hatte noch nie zuvor eine Bibel gesehen oder einen Gottesdienst besucht. Er hegte eine Liebe zu Gott, ohne die geringste Kenntnis von Ihm zu haben. Ich las ihm die Bergpredigt vor, die Gleichnisse Jesu und den Leidensweg Christi. Wir beteten zusammen und so war wieder ein Mann für Christus gewonnen.
In einem Laden traf ich einen russischen Hauptmann und eine Offizierin beim Einkauf. Sie hatten große Mühe, den Verkäufer zu verstehen, da bot ich an, für sie zu dolmetschen und lud sie anschließend in meine Wohnung zum Essen ein. Vor dem Essen erklärte ich ihnen, dass sie in einem christlichen Haus seien und es Sitte wäre zu beten. Sie stellten viele Fragen über Gott und die Bibel. Ich erzählte ihnen Gleichnisse und berichtete von der Geburt Jesu. Der Hauptmann und die Offizierin kamen noch am selben Tag zum Glauben an Gott. In der Folgezeit halfen sie uns noch viel bei unserer verborgenen missionarischen Arbeit an den Soldaten der Roten Armee.
Wir druckten im Geheimen eine Vielzahl von Neuen Testamenten und andere christliche Literatur zur Verteilung unter den sowjetischen Soldaten. Durch die Soldaten, die vom Atheismus zum lebendigen Glauben an Gott bekehrt worden waren, konnten wir viele Bibeln und Bibelteile in die Sowjetunion schmuggeln. Wir fanden noch einen anderen Weg, um Gottes Wort den Sowjets in die Hand zu spielen.
Die Soldaten der Roten Armee waren schon jahrelang an der Front gewesen, und viele von ihnen hatten solange ihre Kinder zuhause nicht gesehen. Mein Sohn Mihai und andere Kinder unter zehn Jahren suchten die Sowjets täglich auf den Straßen und in den Parkanlagen auf und nahmen dabei immer Bibeln, Evangelien und christliche Broschüren in ihren Taschen mit. So verrichteten oft unsere Kinder, was für Erwachsene zu gefährlich auf offener Straße gewesen wäre, völlig unangefochten. Sie waren den Sowjets junge Missionare. Die Ergebnisse dieser Arbeit waren hervorragend. Viele sowjetische Soldaten erhielten auf diese Weise das Evangelium, wozu sonst keine Möglichkeit bestanden hätte.
Wir arbeiteten unter den sowjetischen Soldaten nicht nur durch unser Zeugnis im persönlichen Gespräch, wir konnten auch missionarischen Dienst in kleinen Versammlungen tun. Die Soldaten der Roten Armee hatten es ganz besonders auf Armbanduhren abgesehen. Sie „organisierten“ Uhren, wo sie nur konnten. Auf der Straße hielten sie die Menschen an und jeder musste seine Uhr aushändigen. Wir von der Untergrundkirche hatten dadurch einen guten Vorwand – nämlich Uhren zu verkaufen – um auch hineinzugelangen.
Auf diese Art und Weise war es uns möglich, die frohe Botschaft von Christus zu verkünden und durch die freundliche Hilfe der Christen unter den russischen Soldaten konnte ich solche Besuche noch viele Male wiederholen. Auch von ihren Kameraden fanden viele Christus. Tausende von Evangelien verteilten wir heimlich mit ihnen. Viele unserer Brüder und Schwestern aus der Untergrundkirche wurden dabei gefasst und schwer misshandelt, aber sie verrieten unsere Organisation nie.
Das zweite Arbeitsgebiet war unsere geheime missionarische Arbeit unter den Rumänen. Sehr bald ließen auch bei uns die Kommunisten die Maske fallen. Am Anfang hatten sie noch Methoden angewandt, um die Kirchenführer auf ihre Seite zu ziehen – dann aber begann der offene Terror: Tausende wurden verhaftet. Einen Menschen für Christus zu gewinnen, wurde jetzt auch für uns zu einer aufregenden Sache, wie sie es schon lange für die Russen war. Später war ich dann selber im Gefängnis mit solchen Menschen zusammen, die Gott mich vorher hatte für Christus gewinnen lassen. Ich war mit einem zusammen in derselben Zelle, der sechs Kinder zurückgelassen hatte und nun um seines Glaubens willen im Gefängnis saß.
Es war nicht leicht, unter den neuen Bedingungen Christus zu predigen. Es gelang uns, verschiedene christliche Traktate zu drucken und sie durch die strenge Zensur der Kommunisten hindurchzubringen. Wir legten der kommunistischen Zensur eine Broschüre vor, die auf ihrem Titelblatt ein Bild von Karl Marx aufwies, dem Gründer des Kommunismus. Das Buch war betitelt mit „Religion ist Opium für das Volk“, andere hatten ähnliche Titel. Der Beamte hielt dies für kommunistische Literatur und drückte seinen Stempel darauf. In diesen Büchern gaben wir nach ein paar Seiten mit Zitaten von Marx, Lenin und Stalin, welche die Prüfer zufriedenstellten, unsere Botschaft von Jesus Christus heraus.
Eine Untergrundkirche ist nicht ganz verborgen. Einem Eisberg vergleichbar, bleibt ein kleiner Teil der Arbeit sichtbar. So gingen wir zu den kommunistischen Massenversammlungen und verteilten dabei unsere „kommunistischen“ Broschüren. Die Kommunisten drängten sich, das Buch zu kaufen, als sie das Bild von Karl Marx darauf sahen. Beim Lesen kamen sie nur bis Seite zehn und bis sie schließlich herausfanden, das Folgende handelte von Gott und Jesus Christus, waren wir bereits verschwunden.
Wirkung der Untergrundkirche
Die Untergrundkirche versammelte sich in Privathäusern, in Wäldern, in Kellergeschossen – wo immer dies möglich schien. Dort, im Geheimen, bereitete man die Arbeit für die Öffentlichkeit vor. Unter den Augen der Kommunisten entwarfen wir unseren Plan für eine Straßenmission. Diese Arbeit wurde zwar mit der Zeit immer gefährlicher, aber auf diese Art erreichte man viele Menschen, die wir sonst nie erreicht hätten.
Die Untergrundkirche arbeitete nicht nur in geheimen Versammlungen und getarnten Aktionen, sondern ebenso in unerschrockener, offener Verkündigung des Evangeliums auf den Straßen und vor hohen kommunistischen Funktionären. Das kostete einen Preis und wir waren darauf vorbereitet, diesen zu zahlen. Die Geheimpolizei verfolgte die Untergrundkirche so hart, weil sie darin den einzigen wahrhaft wirksamen Widerstand erkannt hatte, denn nur diese Art von Widerstand, der geistige Widerstand, vermochte ihre atheistische Macht zu untergraben.
Wir beauftragten Christen, der Geheimpolizei beizutreten und die verachtete Uniform in unserem Land anzuziehen, damit sie die Schritte der Geheimpolizei der Untergrundkirche melden konnten. Mehrere Brüder der Untergrundkirche befolgten das und hielten ihren Glauben verborgen. An einem Sonntag wurde ich auf meinem Weg zur Kirche von der Straße weg gewaltsam von der Geheimpolizei entführt. Ein geschlossener Wagen der Geheimpolizei hielt unmittelbar vor mir an, vier Männer sprangen heraus und stießen mich in den Wagen hinein. Jahrelang blieb ich verschwunden.
Über acht Jahre lang wusste niemand, ob ich noch am Leben oder schon tot war. Meine Frau wurde von Geheimpolizisten, die sich als entlassene Mitgefangene ausgaben, teilnehmend aufgesucht. Sie erzählten ihr, sie wären bei meiner Beerdigung dabei gewesen. Während dieser Zeit der strengen Geheimhaltung in Haft, trat der Fall ein, dass ein christlicher Arzt Mitglied der Geheimpolizei wurde, um meinen Aufenthaltsort herauszufinden. Als Vertrauensarzt der Geheimpolizei hatte er Zugang zu den Patientenakten und ihm ist es zu verdanken, dass bekannt wurde, dass ich noch am Leben war. Als während des Eisenhower-Chruschtschow-Tauwetters im Jahre 1956 Häftlinge begnadigt wurden, stellten Christen der Untergrundkirche auch für mich einen Entlassungsantrag und ich wurde für kurze Zeit freigelassen.
Hätte sich dieser christliche Arzt nicht dazu entschlossen, der Geheimpolizei beizutreten, um in erster Linie mich aufzuspüren, wäre ich nie herausgekommen. Noch heute wäre ich im Gefängnis oder im Grabe. Diese Glieder der Untergrundkirche benutzten ihre Stellung in der Geheimpolizei dazu, uns von Fall zu Fall zu warnen, und waren uns eine große Hilfe.
Unsagbare Folterungen
Die Handfesseln, die uns um die Handgelenke gelegt waren, hatten auf den Innenseiten scharfe Spitzen. Wenn wir uns vollkommen bewegungslos verhielten, stachen sie wenig, aber in den eiskalten Zellen zitterten unsere Handgelenke vor Kälte und die scharfen Eisenspitzen ritzten die Haut. Einige Christen wurden an Tauen mit dem Kopf nach unten aufgehängt und dann so heftig geschlagen, dass ihre Körper unter den Schlägen wie Pendel schwangen. Andere wurden in Kühlfächer von Eisschränken gesteckt, in denen der Frost das Eis an den Wänden niedergeschlagen hatte.
Ich selbst wurde dünn bekleidet in eine solche Eiszelle gesperrt. Gefängnisärzte überwachten uns durch eine Öffnung, bis sie die ersten Symptome tödlicher Starre bemerkten. Dann gaben sie ein Warnzeichen, worauf Wachen herbeieilten, um uns aus dem Eis zu nehmen und wieder aufzuwärmen. Hatte sich der Körper wieder etwas erwärmt, wurden wir erneut in die Gefrierfächer gesteckt – und das immer wieder.
Wir Christen wurden auch in Holzverschläge gesteckt, die kaum größer waren als wir selber. Darin war keine Bewegungsfreiheit. Dutzende spitze Nägel waren in die Seitenwände getrieben und ragten mit ihren scharfkantigen Enden in den Verschlag hinein. Solange wir ganz stillstanden, war es noch erträglich. Wir mussten in diesen Verschlägen aber Stunden um Stunden stehen. Wenn man matt wurde und vor Ermüdung schwankte, bohrten sich die Nägel in den Körper. Auch wenn wir uns bloß bewegten oder mit einem Muskel zuckten, waren sofort die quälenden Nägel da.
Die Gefängnisse waren überfüllt, und die Wächter kannten uns nicht mit Namen. Sie riefen gerade diejenigen auf, die zu 25 Peitschenhieben verurteilt waren. Unzählige Male trat ein Pfarrer namens Milan Haimovici vor, um die Auspeitschung an Stelle eines anderen zu empfangen. Dadurch gewann er die Achtung der anderen Häftlinge nicht nur für sich, sondern auch für seinen Herrn Christus, dessen Botschafter er war.
Wie Gehirnwäsche aussieht
Ich musste durch eine Gehirnwäsche hindurchgehen: Jahrelang mussten wir 16 Stunden am Tag stillsitzen und ununterbrochen hören: „Kommunismus ist gut! Christentum ist dumm! Gib auf“! Es gibt nur eine Methode, der Gehirnwäsche zu widerstehen, sie heißt „Herzwäsche“. Wenn das Herz gereinigt ist durch die Liebe Jesu Christi und das Herz dann Ihn liebt, kann man allen Folterungen widerstehen. Die brutalen Folterungen waren ohne Ende.
Wenn ich zuweilen das Bewusstsein verlor oder gar zu benommen war, um den Peinigern noch irgendwelche Hoffnung auf Geständnisse zu machen, wurde ich gewöhnlich wieder in meine Zelle zurückverfrachtet. Dort lag ich dann halbtot, aber doch unbeaufsichtigt und sammelte wieder etwas Kräfte, damit sie mich von neuem bearbeiten konnten.
In diesem Stadium der Folter starben viele. Aber meine Kräfte kehrten immer wieder zurück. Im Laufe der folgenden Jahre brachen sie mir in verschiedenen Gefängnissen vier Rückenwirbel und mehrere Knochen im Körper. An zwölf Stellen kerbten sie mir tiefe Wundmale ein. Sie brannten und schnitten mir insgesamt 18 Löcher in den Körper.
Ärzte in Oslo, die all das gesehen haben und dazu die Vernarbungen von einer Lungentuberkulose, die ich in jener Zeit durchgemacht habe, erklärten, es sei ein reines Wunder, dass ich überhaupt noch am Leben sei. Nach ihren medizinischen Lehrbüchern hätte ich schon einige Jahre tot sein müssen. Ich selbst weiß nur zu gut, dass es ein Wunder ist. Gott ist ein Gott der Wunder.
Nach achteinhalb Jahren Gefängnisaufenthalt hatte ich viel an Gewicht verloren, böse Narben erworben, war brutal niedergeschlagen und getreten worden, war verspottet worden, vor Hunger fast umgekommen, unter seelischen Druck gesetzt, bis zum Erbrechen verhört, bedroht und dann links liegen gelassen. Keins von allen diesen Mitteln hatte zu dem Ergebnis geführt, auf das meine Zwingherren aus waren.
So ließen sie mich schließlich voller Enttäuschung frei. Außerdem gingen bei ihnen ständig Proteste wegen meiner Inhaftierung ein. Man erlaubte mir, an meine alte Stelle zurückzukehren – aber nur für eine Woche. Ich hielt nur zwei Predigten. Dann riefen sie mich zu sich und teilten mir mit, ich dürfe nicht mehr predigen, auch keine andere religiöse Arbeit tun, aber unauffällig arbeitete ich weiter. Schließlich zahlte sich das pausenlose Interesse der Geheimpolizei für meine Tätigkeit und meine Aufenthaltsorte aus. Ich wurde entdeckt und wieder eingekerkert. Achteinhalb Jahre Gefängnis hatte ich hinter mir und drei Jahre verhältnismäßige Freiheit.
Nun sollte ich weitere fünfeinhalb Jahre hinter Gefängnismauern verbringen. Meine zweite Inhaftierung war in mehrfacher Hinsicht schlimmer als die erste, denn ich wusste zu genau, was mich erwartete. Mein körperlicher Zustand verschlechterte sich daher rasant, dennoch setzten wir die Arbeit der Untergrundkirche fort, auch in den kommunistischen Gefängnissen.
Wir predigten – sie schlugen
Es war streng verboten, den anderen Häftlingen Gottes Wort zu verkünden. Ein ungeschriebenes Gesetz führte dazu, dass derjenige, der dabei ertappt wurde, eine schwere Prügelstrafe erhielt. Eine Anzahl von uns war willens, diese Bedingungen anzunehmen und den Preis zu zahlen. Es war eine Art Abkommen: Wir predigten und sie waren glücklich, uns schlagen zu können – so war jeder glücklich.
Dies spielte sich meist wie folgt ab: Ein Glaubensbruder war dabei, den anderen Gefangenen zu predigen, als die Wächter plötzlich hereinstürzten und ihn mitten im Satz überraschten. Sie zerrten ihn einen langen Gang entlang zum „Prügelzimmer“. Nach unzählbaren Schlägen schleiften sie ihn zurück, blutüberströmt und zerschunden und warfen ihn auf den Betonboden. Langsam richtete er seine zerschlagenen Glieder auf. Er ordnete seine Kleider und sagte: „Nun, Brüder, wo war ich stehengeblieben, als ich unterbrochen wurde?“ Und er fuhr fort mit seiner Botschaft von Christus. Aus all den Prügeleien, Folterungen und Metzeleien stieg uns eine tiefe Erkenntnis auf, nämlich, dass der Geist Herr über den Körper ist.
Sehr oft, wenn wir gefoltert wurden, fühlten wir wohl die Folter, aber doch wie im Abstand von uns und weit entfernt von unserem Geist, der in die Herrlichkeit Christi und seine lebendige Gegenwart aufgenommen war. Als sie uns wöchentlich nur noch eine Scheibe Brot und täglich eine schmutzige Suppe gaben, beschlossen wir, selbst davon noch gewissenhaft den Zehnten zu geben. Jede zehnte Woche gaben wir die Scheibe Brot schwächeren Brüdern als unseren Zehnten an den Herrn.
Während meiner 14-jährigen Haft habe ich niemals eine Bibel oder irgendein Buch gesehen, das Schreiben hatte ich fast verlernt. Unter dem ständig quälenden Hunger, der geistigen Schwäche und den Folterungen konnte ich sogar die Heilige Schrift nicht mehr im Gedächtnis behalten. Aber an dem Tag, an dem die 14 Jahre Kerker voll waren, stieg aus der Vergessenheit meines Geistes ein Vers in mein Bewusstsein: „Jakob arbeitete um Rahel 14 Jahre, und es schien ihm eine kleine Zeit, denn er liebte sie.“
Bald danach wurde ich freigelassen aufgrund einer allgemeinen Amnestie, die in unserem Land erlassen worden war. Ich sah meine Frau wieder, die über 14 Jahre treu auf mich gewartet hatte und wir begannen unser Leben noch einmal von vorne – in größter Armut, weil dem, der im Gefängnis saß, vom kommunistischen Staat alles weggenommen wurde. Die Priester und Pfarrer, die entlassen wurden, erhielten kleine Kirchen zugeteilt. Mir teilte man eine Kirche in der Stadt Orsova zu, doch da die Geheimpolizei die Kirchen streng bewachte, begann ich meinen Dienst wieder in der Untergrundkirche. Zwischenzeitlich bekamen wir Unterstützung von Mitgliedern aus verschiedenen christlichen Kirchen aus dem Westen, welche ein Hilfswerk in die Wege geleitet hatten.
Durch geheime Kanäle erhielten wir nun viele Bibeln und christliche Literatur, aber auch finanzielle Hilfe für die Familien christlicher Blutzeugen. Sie schlichen in Häuser, die von der Geheimpolizei umstellt waren und die Polizei merkte nicht, dass sie hineingegangen waren. Der Wert der Bibeln, die auf diesem Weg eingeschmuggelt wurden, kann nicht ermessen werden. Wegen meiner Arbeit in der Untergrundkirche stand ich in größter Gefahr, erneut verhaftet zu werden. Zu diesem Zeitpunkt, 1965, zahlten zwei christliche Organisationen ein Lösegeld von 2.500 englischen Pfund (ca. 60.000 €) für mich an die Regierung und so konnte ich Rumänien verlassen.
Trotz aller Gefahren hätte ich Rumänien nicht verlassen, aber die Leiter der Untergrundkirche beauftragten mich, diese Gelegenheit zu benutzen, um die „Stimme“ der Untergrundkirche in der freien Welt zu werden. Es war ihr Wunsch, dass ich in der freien, westlichen Welt in ihrem Namen über ihre Leiden und ihre Nöte sprechen sollte. Hätte ich nicht so deutlich die dringende Notwendigkeit gesehen, vom Leiden und von der unerschrockenen Arbeit der Untergrundkirche zu berichten, hätte ich Rumänien nie verlassen. Dies war mein besonderer Auftrag.
Voller Freude – auch im Gefängnis
Wenn ich auf meine 14 Jahre Gefängnis zurückblicke, so war es trotz allem auch eine Zeit voller Freude. Andere Häftlinge und auch unsere Wächter gerieten immer wieder in Verwunderung darüber, wie Christen sogar unter den furchtbarsten Umständen noch fröhlich sein konnten. Wir ließen uns nicht daran hindern zu singen, obwohl wir dafür geschlagen wurden. In unseren Verfolgern konnte ich Saul von Tarsus, die künftigen „Paulusse“, entdecken.
Einige von unseren Verfolgern erfuhren diese Wandlung. Angestellte der Geheimpolizei, denen wir Christus bezeugten, wurden selbst Christen. Sie schätzten sich danach glücklich, im Gefängnis dafür zu leiden, dass auch sie Christus gefunden hatten. In den Gefängniswärtern, die uns auspeitschten, sahen wir die Möglichkeit der Wandlung eines Kerkermeisters von Philippi, der auch zuerst Paulus geschlagen hatte und dann zu Christus bekehrt worden war.
Gerade in denen, die höhnisch zusahen, wie Christen mit Kot beschmiert und an Kreuze gebunden wurden, sahen wir die Vertreter jener Volksmengen von Golgatha, die kurze Zeit später sich wegen ihrer Sünden reuevoll an die Brust schlugen. Dort im Gefängnis bestätigte sich unsere Hoffnung für die Peiniger, dass auch sie das Heil in Christus annehmen können. Besonders ging uns dort die Erkenntnis auf, dass wir ihnen gegenüber Verantwortung tragen.
Und wir lernten sie, während wir gefoltert wurden, wahrhaftig zu lieben. Gott sieht die Dinge anders als wir sie sehen. Vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet, ist es etwas Fürchterliches, an ein Kreuz gebunden zu werden. Dennoch bezeichnet die Bibel die Leiden der Blutzeugen als „leichte Trübsale“ (2.Kor 4, 17). 14 Jahre im Gefängnis ist für uns eine lange Zeitspanne. Die Bibel aber nennt das „nur einen Augenblick, der uns die Ehrenkrone erwirkt“.
„Denn unsere Bedrängnis, die schnell vorübergehend und leicht ist, verschafft uns eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, da wir nicht auf das Sichtbare sehen, sondern auf das Unsichtbare; denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig“ (2.Kor 4,17-18).
Richard Wurmbrand (1909 – 2001)
Aus „Gefoltert für Christus“,
Hilfsaktion Märtyrerkirche (HMK)