Hoffnung für Verstoßene in Äthiopien

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  • Mit seinen fast drei Jahren zählt dieser Junge zu den ältesten im Babyheim

Hoffnung für Verstoßene in Äthiopien

2024-08-23T13:03:10+02:0023. August 2024|

Am 12. April startet eine größere Reisegruppe eine Missionsreise nach Äthiopien. Unter ihnen befinden sich Bruder Nikolai Wall, Bruder Michael Akulenko und Bruder David Bechthold, die sich zwei Tage später mit einem besonderen Auftrag von der Gruppe trennen und einen anderen Weg einschlagen. Ihr Ziel: Die Prüfung einer Hilfsorganisation auf eine Eignung für eine Partnerschaft mit der CDH Stephanus.

 

Nachdem wir die beiden ersten Tage mit der kompletten Reisegruppe verbracht hatten, trennten sich unsere Wege. Unsere dreiköpfige Gruppe hatte nämlich die genauere Begutachtung der Organisation „Talita Rise Up“ als Ziel. Durch göttliche Führung wurde das Hilfswerk Stephanus ca. vier Monate zuvor auf diese Organisation aufmerksam. Weitere Details dazu könnt ihr in der Stephanus–Weg der Nachfolge, Ausgabe 1|2024 im Artikel zum Äthiopienprojekt nachlesen. Nun sollte vor Ort entschieden werden, ob dieses Projekt langfristig gefördert werden soll.

 

Nach unserem ersten kurzen Inlandsflug kamen wir in der Hauptstadt Addis Abeba an. Einen verpassten Anschlussflug später und der damit verbundenen Planänderung erreichten wir schließlich gegen Abend die Stadt Hawassa.

Dort wurden wir vor unserem Hotel herzlich von Atikilt und Amman begrüßt. Atikilt ist die Gründerin von Talita Rise Up, Amman ist ihr Sohn, der ebenfalls in der Organisation aktiv ist. Durch unseren verpassten Anschlussflug konnten wir nicht wie geplant ein Essensausgabeprojekt der Organisation begleiten. Stattdessen nutzten wir den Abend, um organisatorische Details für den kommenden Tag zu besprechen. Krankheitsbedingt konnte ich an der Besprechung leider nicht teilnehmen, sondern begab mich nach Ankunft im Hotel direkt auf mein Zimmer.

Als Atikilt und Amman von meinem gesundheitlichen Zustand erfuhren, versorgten sie mich nicht nur liebevollerweise mit einem Hausmittel, sondern ließen mir noch nachts Medikamente aufs Zimmer bringen. Das ist nur eins der vielen guten Zeugnisse, die über die beiden erzählt werden können.

 

Eine der Nannys mit einem der jüngeren Babys

 

Erste Station: Das Babyheim

Nach einer erholsamen Nacht holten Atikilt und Amman uns am nächsten Morgen vor unserem Hotel ab. Unsere erste Station des Tages war das Babyheim der Organisation. Hier werden insgesamt um die 30 Babys und Kleinkinder versorgt. 8 Nannys in zwei Schichten kümmern sich liebevoll um die Kleinen.

Die Babys sind meist nur wenige Wochen alt, wenn sie hier ankommen. In der Regel wurden sie von ihren Müttern ausgesetzt oder verlassen. In der Vergangenheit wurden die Babys schon auf der Straße, im Wald, in Mülltonnen oder am Flussufer entdeckt. Auch kam es schon vor, dass Mütter ihre Kinder im Krankenhaus zurückgelassen haben und nachts geflohen sind.

 

Ein Grund, weshalb die Babys ausgesetzt werden, ist, dass ihre Mütter bei der Geburt oft unverheiratet sind. In der äthiopischen Kultur ist dies stark verpönt und kann dazu führen, dass die Mütter zukünftig keinen Ehemann finden und generell wie Aussätzige behandelt werden. Aus Angst vor diesen möglichen Konsequenzen werden die Mütter teils enorm von ihren eigenen Familien unter Druck gesetzt, die Babys zu verlassen.

Leider sind Vergewaltigung und die anschließende Überforderung mit der Situation und dem Kind ein weiterer Grund, warum Frauen ihre Kinder zurücklassen.

 

Eine andere Ursache, weshalb die Babys im Babyheim landen, ist Armut. Die Mütter sehen sich nicht in der Lage, die Kinder zu versorgen. Neben gesellschaftlicher Ächtung und Armut sind körperliche oder gesundheitliche Beeinträchtigungen der Kleinkinder ein anderer Grund, aus dem sie ausgesetzt bzw. verlassen werden. Ein Beispiel hierfür ist der kleine Makbel. Makbel ist nahezu blind und deshalb ungewollt.

 

Der nahezu blinde Makbel konnte bereits an einem Auge operiert werden.

 

Bei Talita Rise Up wird er nicht nur aufopferungsvoll umsorgt, sondern bekommt auch Zugang zu wichtiger medizinischer Versorgung. Makbel konnte so bereits an einem Auge operiert werden. Die Operation verlief erfolgreich und es wird sich in den kommenden Monaten und Jahren zeigen, wie viel der Kleine dadurch an Sehkraft gewinnen konnte. Eine zweite Operation an seinem anderen Auge ist geplant und wird durchgeführt, sofern die finanziellen Mittel hierfür erbracht werden können. Die Operation wird ungefähr 1000$ kosten.

Eine Besonderheit bei diesem Projekt ist, dass die Kleinkinder nicht dauerhaft in der Obhut von Talita Rise Up bleiben dürfen. Aufgrund der gesetzlichen Regelung und fehlender Räumlichkeiten für einen langfristigen Aufenthalt müssen die Kinder nach einigen Monaten in neuen Familien untergebracht werden. Andernfalls müssten die Kinder an ein Kinderheim übergeben werden. Gott sei Dank konnten die Kinder bisher immer rechtzeitig an neue Familien vermittelt werden.

 

Empfang im Safe House

 

Zweite Station: Das Safe House

Nach unserem Besuch im Babyheim fuhren wir zu einem weiteren Standort von Talita Rise Up. Gute 15 Minuten Autofahrt später fanden wir uns vor einem unauffälligen, ringsum mit Mauern und Stacheldraht versehenen Grundstück wieder. Hinter dem bewachten Eingangstor befand sich das Safe House der Organisation, das Schutz für misshandelte Mädchen und junge Frauen bietet. Hier finden aktuell 27 Mädchen und junge Frauen Schutz, die Opfer von Gewalt geworden sind. Darunter fallen unter anderem körperliche oder psychische Misshandlung und Vergewaltigung.

 

Erschreckend war für uns das überraschend junge Alter der Opfer. Das jüngste Mädchen, das von Talita Rise Up aufgrund sexueller Gewalt aufgenommen wurde, war gerade einmal 10 Monate alt.

Von diesen ersten Eindrücken und Informationen erschlagen, führte Amman uns durch die restlichen Räumlichkeiten des Safe Houses. Auf dem Gelände befindet sich alles, was für die längerfristige Beherbergung der Mädchen und jungen Frauen benötigt wird. Während ihres Aufenthalts werden sie in die täglich zu erledigenden Tätigkeiten integriert. Generell nahmen wir eine familiäre Atmosphäre wahr.

 

Neben einem sicheren Umfeld bekommen die Mädchen hier professionelle Seelsorge durch eine christliche Psychologin. Auch geistliche Unterstützung wird durch Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinden gewährleistet.

Außerdem erhalten die Mädchen Zugang zu Bildung und bekommen zudem praktische Fähigkeiten beigebracht, die ihnen nach ihrer Zeit im Safe House helfen werden.

Ziel des Projektes ist zunächst neben dem physischen Schutz die emotionale und seelische Heilung der Mädchen. Zudem setzt Talita Rise Up sich auch vor Gericht für die Mädchen und Frauen ein. Weitaus wichtiger als ein Sieg vor Gericht ist aber, dass die Opfer Heilung erfahren und erneut am täglichen Leben teilnehmen können. Dass dies tatsächlich passiert, zeigt, wie gesegnet dieses Projekt ist.

 

Ein hoffnungsvolles Beispiel

Ein Beispiel für eine rehabilitierte junge Frau ist die heute 18-jährige Ethenesh. Ethenesh wurde als 8-jährige von einem Mann aus ihrer Nachbarschaft auf grausame Art und Weise vergewaltigt. Die Vergewaltigung war so brutal, dass sie dabei schwere innere Verletzungen und mehrere Knochenbrüche erlitt. Vollkommen überfordert verheimlichte das Mädchen die Gewalttat samt ihren schlimmen Verletzungen zunächst. Erst acht Tage später vertraute Ethenesh sich langsam ihrer Mutter an. Die Vergewaltigung kam vollständig ans Licht, als Ethenesh im Schlaf den Namen des Täters rief.

Daraufhin brachte man sie in ein Krankenhaus, wo ihre Verletzungen behandelt wurden. Zeitgleich zeigte ihr Vater den Täter an. Als Atikilt von der grausamen Tat erfuhr, nahm sie sich Etheneshs an. Zahlreiche notwendige Operationen wurden von der Klinik kostenfrei durchgeführt. Trotzdem entstanden Kosten für Behandlung und Medikation, die Atikilt selbst übernahm. Die nächsten vier Jahre nahm sie Ethenesh wie eine Tochter bei sich auf. Außerdem setzte sich Atikilt für die strafrechtliche Verfolgung des Täters ein.

 

Ethenesh heute

 

Heute, 10 Jahre später, ist Ethenesh zu einer hübschen jungen Frau herangewachsen. Doch die körperlichen Konsequenzen der grausamen Gewalttat zeichnen sie für den Rest ihres Lebens.

Sie ist heute auf eine Gehhilfe angewiesen und trägt an ihrem rechten Fuß einen speziellen Plateau-Schuh, um ihre verschieden langen Beine auszugleichen. Ihre Geschichte ist herzzerreißend und dennoch voller Hoffnung. Ethenesh erklärte sich bereit, uns ihr Zeugnis in Form eines Interviews zu geben. In diesem Interview bezeugt sie, dass sie ihrem Vergewaltiger vergeben hat und seelische Heilung erfahren durfte. Ethenesh ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig christlich fundierte Hilfswerke wie Talita Rise Up sind.

 

Ethenesh hat uns während des Interviews davon berichtet, dass ihre Gehhilfe nicht einwandfrei funktioniert und sie deshalb schon gestürzt ist und sich verletzt hat. Ohne ihr Wissen haben wir uns nach dem Interview kurzerhand dazu entschieden, die Kosten von bis zu 12.000 äthiopischen Birr (umgerechnet ca. 200€) für ihre neue Gehhilfe zu übernehmen. Ein paar Wochen nach unserem Aufenthalt hat sie ihre neue Gehilfe bekommen.

 

Übergabe neue Gehilfen und weitere Sachspenden

 

Von Gott geführte Spende

Neben den Besuchen des Babyheims und des Safe Houses stand natürlich die potenzielle Förderung der Organisation durch das Hilfswerk Stephanus im Raum.

Um sicher zu gehen, dass das Spendenziel im Sinne von Stephanus und somit auch euch, der Spender, ist, wurde die Organisation Talita Rise Up bereits im Vorfeld, aber auch während unseres Besuchs vor Ort, geprüft. Sowohl die bereitgestellten Dokumente, unsere Eindrücke als auch die Antworten auf unsere Fragen haben die Brüder darin bestärkt, die Organisation finanziell zu unterstützen.

 

Das Hilfswerk Stephanus hat an diesem Tag eine Spende von 772.000 äthiopischen Birr (umgerechnet ca. 12.500€) übergeben. Damit konnten die Spende für Ethenesh, die Schulden der Organisation, die Mitarbeitergehälter für 2 Monate, sowie die Mietkosten für das Safe House für die kommenden 16 Monate bezahlt werden.

Atikilt und Amman waren von der Spende überrascht und zunächst sprachlos. Da gerade eine zeitlich befristete Förderung eines kanadischen Hilfswerks im Vormonat ausgelaufen ist, war die finanzielle Zukunft von Talita Rise Up ungewiss. Verzweifelt und dennoch voller Glauben hatte sich Atikilt mehrere Monate zuvor an Gott gewandt. Dass Stephanus erst vor wenigen Monaten auf die Organisation aufmerksam geworden ist und nun kurz nach Ausscheiden des bisherigen Förderers Talita Rise Up unterstützt, ist ein Zeugnis dafür, dass Gott Seine Kinder nicht im Stich lässt und zur rechten Zeit versorgt.

 

Übergabe der Geldspende an Atilkit

 

Wir haben das Verlangen und das Ziel, die Arbeit der Organisation dauerhaft zu unterstützen. Hierfür sind wir nicht nur auf Gebete, sondern auch auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Aktuell sind wir beispielsweise auf der Suche nach einer Gemeinde, welche dieses Projekt dauerhaft in finanziellen und organisatorischen Angelegenheiten unterstützen möchte.

Auch wenn wir, dank euch, eine größere Geldspende übergeben durften, sichert das allein leider nicht den Fortbestand der Arbeit der Organisation. Weiterhin gibt es hohe laufende Kosten für Gehälter oder Babynahrung, welche Talita Rise Up in der Vergangenheit schon des Öfteren an ihre finanziellen Grenzen gebracht hat. Einige Wochen nach unserer Abreise hat uns die Information erreicht, dass die Finanzierung der Lebensmittel für das Safe House aufgrund fehlender Spenden problematisch ist. Leider können auch lebensverändernde Vorhaben wie die Augenoperation des kleinen Makbels nur dann durchgeführt werden, wenn die finanziellen Mittel hierfür vorhanden sind.

 

Unseren Besuch bei Talita Rise Up haben wir auch in Form von Videos dokumentiert. Diese werden wir auf dem Stephanus YouTube-Kanal veröffentlichen.

 

David Bechthold

Gemeinde Eppingen

 

Weitere Infos zu dem Projekt und Möglichkeit zum Spenden:

https://cdh-stephanus.org/aethiopien/