Ich-Bezogenheit auch in der Gemeinde?

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Ich-Bezogenheit auch in der Gemeinde?

2025-05-21T12:58:49+02:0021. Mai 2025|

Ich, ich, ich – dann lange nichts? Seit Jahren beobachten Soziologen eine Entwicklung des zunehmenden Egoismus in der Gesellschaft. Wachsende Selbstbezogenheit, fehlende Hilfsbereitschaft und mangelnde Achtung für andere lautet die nüchterne Bestandsaufnahme. Menschen, die nicht primär an sich selbst denken, sind in der Minderheit.

Die Ich-Bezogenheit, die in unserer Gesellschaft weit verbreitet ist, zeigt sich bedauerlicherweise auch in unseren Kirchengemeinden. Dies führt dazu, dass hohe Erwartungen innerhalb der Ortsgemeinde oft nicht erfüllt werden und individuelle Ansichten nicht ausreichend Gehör finden.

Viele Menschen sehnen sich nach einer Gemeinschaft, die vor allem ihre eigenen Bedürfnisse berücksichtigt  – einer Gemeinschaft, die für sie und ihre Familien da ist, wenn sie Unterstützung benötigen, und in der ihre Meinungen geteilt oder zumindest akzeptiert werden. In diesem Kontext wird die Rolle der Kirche zunehmend als organisatorische Institution wahrgenommen, die verschiedene Angebote bereitstellt, die man nach Bedarf in Anspruch nehmen kann. Dabei gerät das biblische Bild der Gemeinde als lebendiger Körper mit Jesus Christus als Haupt (vgl. Eph 4), sowie als Ort des Schutzes und der Fürsorge immer mehr in den Hintergrund.

Ein gesundes Gemeindeleben hingegen zeichnet sich dadurch aus, dass Mitglieder aus Liebe zu Gott, geleitet vom Heiligen Geist, einander dienen und die Dienste ihrer Geschwister in der Ortsgemeinde wertschätzen.

 

Gott spricht insbesondere durch die Heilige Schrift, die von Menschen verfasst wurde, die vom Heiligen Geist inspiriert waren, direkt zu uns Menschen. In der heutigen Zeit gibt es ebenfalls Brüder und Schwestern in den Gemeinden, die vom Heiligen Geist geleitet werden und einander in ihren Schwächen unterstützen. Diese gegenseitige Hilfe ist entscheidend, um in der Liebe zu wachsen und in allen Lebensbereichen Jesus geistlich ähnlicher zu werden (vgl. Eph 4,15).

Jesus Christus, als das Haupt der Gemeinde, ist das zentrale Leitungsorgan des gesamten Leibes. Er verbindet und leitet die Gemeinde durch die verantwortlichen Brüder, die als Gelenke fungieren. Daher tragen die Diener eine besondere Verantwortung: Wenn sie und damit auch die Gemeinde nicht von Jesus, dem Haupt, durch den Heiligen Geist geleitet werden, sondern sich auf ihr eigenes menschliches Denken verlassen, wird die Gemeinde von menschlichen Überlegungen anstatt von göttlicher Weisheit geleitet (vgl. Mk 8,33).

 

Sowohl die inneren Organe als auch die sichtbaren Glieder einer Gemeinde sind notwendig, um Stabilität zu gewährleisten und uns vor den wechselhaften Lehren und Täuschungen zu schützen.

 

Die unerlässliche Rolle jedes Gliedes im Leib Christi

In der Gemeinschaft der Gläubigen ist es von zentraler Bedeutung, dass die Mitglieder füreinander Verantwortung übernehmen und sich gegenseitig unterstützen, wie es in 1.Korinther 12,25 beschrieben wird. Jeder Einzelne sollte nicht nur darauf bedacht sein, die Vorteile der Gemeinschaft zu genießen, sondern auch aktiv darüber nachdenken, wie er seine eigenen Fähigkeiten und seine Zeit einbringen kann, um das Gemeinwohl zu fördern.

Jedes Mitglied des Leibes Christi hat eine spezifische Rolle: Das Auge als Glied erkennt sowohl Herausforderungen als auch Chancen und weist darauf hin. Der Arm setzt Lösungen in die Tat um, während die Niere durch Gebet und den Einsatz für reine Lehre zur geistlichen Gesundheit des Ganzen beiträgt. Jedes Glied erfüllt seine Aufgabe entsprechend den Gaben, die ihm von Christus zuteilwurden. Diese gegenseitige Abhängigkeit ist unerlässlich für unser geistliches Wohlbefinden. Sowohl die inneren Organe als auch die sichtbaren Glieder sind notwendig, um Stabilität zu gewährleisten und uns vor den wechselhaften Lehren und Täuschungen zu schützen, die uns von außen begegnen können (vgl. Eph 4,16).

Wenn ein Mitglied der Gemeinde leidet, spüren alle das Leid. Werden die Probleme in einer Gemeinde, sowohl geistliche als auch seelische Mängel u.a., nicht behandelt, so schwächt es den gesamten Leib. Der Leib wird elend, erbärmlich, arm, blind und entblößt (vgl. Offb 3,18), so wie es der Gemeinde in Laodizea geschrieben wurde.

Die Augensalbe, das kostbare Öl, das auf dem Haupt fließt und bis zum Saum der Kleider Aarons reicht (vgl. Ps 133) symbolisiert die notwendige Reinigung von Auge und Kleidung durch den Heiligen Geist und Jesus, das Haupt der Gemeinde. Diese Reinigung und Salbung ist für die Einheit der Glieder unerlässlich.

 

Nächstenliebe soll nicht praktiziert werden, weil der Nächste es verdient hat, sonder weil Jesus uns zuerst geliebt hat.

 

Der Preis der Hingabe und die Kraft der Gemeinschaft

Die Liebe zu unserem Nächsten zu zeigen und ihm zu helfen, ist mit einem Preis verbunden. Oft erfordert es Kraft, Zeit und die Überwindung unseres eigenen Stolzes sowie unserer eigensinnigen Meinungen. Die Aufforderung im Hebräerbrief, aufeinander Acht zu geben und uns gegenseitig zur Liebe und zu guten Werken anzuspornen, bildet den Kern des Dienstes am Nächsten in all seinen Formen. Sei es durch ein freundliches Wort (vgl. Eph 4,32), eine Ermahnung oder durch die beständige Teilnahme an Versammlungen.

Nur wer Liebe zeigt, regt andere dazu an, ebenfalls Liebe zu praktizieren. Nur wer gute Werke vollbringt, inspiriert andere dazu. Jesus ist uns hierbei ein herausragendes Vorbild. Aus Liebe zur Gemeinde hat Er den Preis für unsere Errettung bezahlt und Sein Leben als Opfer dargebracht, das Gott wohlgefällig ist (vgl. Eph 5). Ist das nicht eine Herausforderung für unsere Nächstenliebe?

Bruder Richard, der oft als Diener unterwegs war, fragte einmal seine Frau, ob sie ihn trotz seiner Abwesenheit liebe. Sie antwortete, dass sie ihn nicht aufgrund seiner Liebe zu ihr liebe, sondern wegen der Liebe Jesu zu ihr. Hat Jesus nicht diese Liebe in uns geweckt? Lasst uns unseren Nächsten lieben und einander mit den verschiedenen Gnadengaben dienen, entsprechend der Gnade, die uns gegeben wurde (vgl. Röm 12,6). Dies tun wir nicht, weil der Nächste es verdient hat, sondern weil Jesus uns zuerst geliebt hat (vgl. 1.Joh 4,9).

Zudem sollten wir bei jedem guten Werk nicht auf Dank von anderen hoffen; vielmehr können wir wie Nehemia sagen: „Gedenke mir dessen, mein Gott, zum Guten“ (Neh 13,31).

 

Jesus ist ein herausragendes Vorbild. Aus Liebe zur Gemeinde hat Er den Preis für unsere Errettung bezahlt und Sein Leben als Opfer dargebracht, das Gott wohlgefällig ist.

 

Die Ermahnung untereinander und die Bereitschaft zur Veränderung

Ähnlich wie wir unseren Mitmenschen begegnen, sollten wir auch die Liebe annehmen, die uns in Form von Zurechtweisung und Korrektur zuteilwird. Sei es in unserem Verhalten oder in unseren Ansichten. Wir sollten diese Korrekturen sogar aktiv suchen, insbesondere im Rahmen seelsorgerlicher Gespräche. Oft steht uns jedoch unser eigenes stolzes und eigensinniges Ich im Weg. Jeder Mensch benötigt Ermahnung! Selbst Petrus wurde von Paulus zurechtgewiesen, als er in Antiochia Heuchelei zeigte und sich von den Juden absonderte. Fehler sind menschlich, doch sind wir bereit, uns korrigieren zu lassen?

König David hat gesündigt und hätte nach dem Gesetz Moses sterben müssen; heute wäre dies ein Thema für die Gemeindedisziplin. Dennoch spricht Gott wohlwollend über ihn: „Ich habe David gefunden, den Sohn Isais, einen Mann nach meinem Herzen, der soll meinen ganzen Willen tun“ (Apg 13,22). In 1.Könige 9,4 betont Gott, dass David mit einem reinen Herzen und aufrichtig gewandelt ist und alles getan hat, was ihm geboten wurde. Warum spricht Gott so positiv über David? Weil er bereit war, sich korrigieren zu lassen und seine Schuld einzusehen. Niemand hat so aufrichtig Buße getan wie er; David drückte seine Reue sogar in einem Psalm aus, der gesungen wurde.

 

Unsere Unvollkommenheit führt dazu, dass wir uns gegenseitig herausfordern, unseren Glauben zu prüfen. Oft äußern wir aufgrund unserer begrenzten Gotteserkenntnis falsche Ratschläge und vorschnelle Urteile, ähnlich wie die Freunde Hiobs. Daher ist es entscheidend, dass wir uns selbst vorbereiten. Indem wir uns im Wort Gottes wie in einem Spiegel betrachten, können wir erkennen, wie Gott uns sieht. So werden wir auch den Balken in unserem eigenen Auge nicht übersehen.

Unser Ziel sollte es sein, in Liebe zu ermahnen und zu trösten, anstatt vorschnell zu urteilen. Hierbei benötigen wir die heilende Augensalbe, die unsere Sichtweise klärt und uns Jesus ähnlicher macht. Das Bewusstsein für unsere eigenen Probleme und Schwächen, sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit sollte uns nicht davon abhalten, anderen einen Rat zu geben.

Vielmehr sollte es uns ermutigen, dem Nächsten mit Mitgefühl und dem richtigen Ton zu begegnen. Wir sollten vermeiden, ihn vorschnell zu verurteilen und stattdessen aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben handeln. Oft drängt unser eigenes Ich dazu, schnell eine Meinung zu äußern; doch Paulus erinnert uns in Kolosser 3,13 daran: „Und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“

 

Gerade in einer Gesellschaft, in der das eigene stolze und eigensinnige Ich zunehmend im Vordergrund steht, ist es von großer Bedeutung, Teil des Leibes Christi zu sein, insbesondere einer Ortsgemeinde, in der Jesus das Haupt ist. In deiner Gemeinde gibt es Brüder und Schwestern, die durch den Heiligen Geist inspiriert sind und sich gegenseitig in ihrer Unzulänglichkeit die Liebe Jesu zeigen. Indem du heute deinen Nächsten trägst und unterstützt, schaffst du die Möglichkeit, morgen selbst getragen zu werden.

 

Paul Betz,

Gemeinde Tostedt