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Die Geschichte der Pfingstbewegung spiegelt sich im Leben eines jeden ernsthaften Christen wider und im besonderen Maße in herausragenden Persönlichkeiten und Dienern der Gemeinde Christi. Einer von ihnen war Bruder Alexander Konradi, der am 21. April 1938 in der Stadt Kislowodsk im nördlichen Kaukasus geboren wurde und am 12.02.2011 in die Ewigkeit ging. Hier ein kurzer Bericht seines Lebens aus seiner Sicht.
Brot und Bratkartoffeln
Von Kindheit auf litt ich unter dem autoritären Regime der Sowjetunion. Mein Vater wurde nach dem Krieg als Verräter angeklagt und zu zehn Jahren Gefängnis und fünf Jahren Verbannung verurteilt. Unsere Familie wurde ebenfalls nach Sibirien ausgewiesen. Auf diese Weise gelangte ich zusammen mit meiner Mutter, meinem Bruder, meiner Schwester sowie meiner Großmutter in das Gebiet Tomsk, wo wir unter ständiger Beobachtung standen. Meine Mutter wurde dazu gezwungen, in der Taiga bei der Holzverarbeitung zu helfen. Sie durfte nur einmal im Monat nach Hause, um uns Kinder zu sehen. Wir hungerten so sehr, dass meine Großmutter und mein kleiner Bruder es nicht überlebten.
Aus dieser schwierigen Zeit ist mir ein Erlebnis besonders gut in Erinnerung geblieben: Eines Tages klopfte jemand an unsere Tür und brachte uns Brot. Die Russen wollten dieses Brot nicht mehr haben, da das Fahrzeug mit der Ladung einen Unfall gehabt hatte und so verteilten sie es an uns. Dafür waren wir unglaublich dankbar. „Ach Mama, wenn wir doch jeden Tag so ein leckeres Brot bekommen könnten. Irgendwann, wenn ich mal viel Geld haben sollte, werde ich anderen damit helfen“, sagte ich.
Zur Dorfschule ging ich gern. Da meine Schwester und ich uns die Stiefel und die Jacke teilten, wechselten wir uns mit dem Schulbesuch ab. Zum Schreiben benutzten wir getrocknete Birkenrinde. Mein 15. Geburtstag wird mir immer in Erinnerung bleiben. Ratet mal, was mir meine Mutter schenkte! Eine Pfanne Bratkartoffeln! Für euch heute eine Selbstverständlichkeit, für mich bedeutete es damals – das erste Mal so richtig satt werden.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon seit zwei Jahren die Schule verlassen und arbeitete beim Holzhüttenbau, da meine Mutter nicht mehr in der Lage war, die Familie allein zu versorgen. Mein gesamtes verdientes Geld gab ich meiner Mutter. Kurz darauf absolvierte ich eine Ausbildung zum Mechaniker. Ungefähr zu dieser Zeit sah ich auch zum allerersten Mal meinen Vater, den ich mit Hilfe von Bildern wiedererkannte.

Alexander Konradi (1938 – 2011)
„Herr, rette mich“
Meine Mutter war Lutheranerin und erzählte mir schon früh von Gott. Vor dem Schlafengehen betete ich immer das Vaterunser, das man mir beigebracht hatte. Doch persönlich tat ich nichts mehr, um Gott näher zu kommen. So tat Gott eines Tages den ersten Schritt. Ich sah eine Vision: Ich befand mich in einem Gewitter. Es blitzte und donnerte gewaltig. Schwarze Wolken verfolgten mich, ich bekam furchtbare Angst und fing an zu laufen. Doch wohin? Ich fand keinen Ausweg. Verzweifelt fiel ich auf die Knie und schrie: „Herr, rette mich!“ Da verstummte das Gewitter augenblicklich. Auf einer weißen Wolke sah ich plötzlich Jesus Christus, wie er Seine Arme ausbreitete und sagte: „Ich werde dich retten!“
Seitdem wurde ich das Gefühl des Verlorenseins nicht mehr los. So folgte ich meiner Mutter bereitwillig, als sie mir eines Tages vorschlug, mit zum Gottesdienst zu gehen. Es war der 25. Dezember 1956. In diesem Gottesdienst bekehrte ich mich, bekannte meine Sünden und übergab Gott mein Leben. Und ich meinte es ernst.
Am 20. Mai 1957 schloss ich dann den Bund mit dem Herrn durch die Wassertaufe. Mein tiefster Wunsch war es, eine eigene Bibel zu besitzen, obwohl es dafür eine Haftstrafe von 25 Jahren geben konnte. So fuhr ich zusammen mit weiteren Brüdern hinaus in die Dörfer zu alten Leuten, die ihre Bibeln noch aus der Zarenzeit besaßen. Sie besserten ihre Bibeln liebevoll aus, damit andere Menschen sie auch gebrauchen konnten.
Das Los
Kurz darauf lernte ich in Makinsk ein Mädchen namens Frieda kennen und heiratete sie. Als ich 21 Jahre alt war, verstarb unser Gemeindeleiter Bruder Wasili Scheftschenko durch die Quälerei in Stalins Gefangenenlagern. Es kam also die Frage auf, wer sein Amt als Pastor und Gemeindevorsteher übernehmen sollte. Man einigte sich darauf, das Los entscheiden zu lassen. Die Namen aller Brüder, die für dieses Amt in Frage kamen, wurden auf kleine Zettel geschrieben. Das Los traf mich. Im Sommer des Jahres 1959 wurde ich von den Brüdern der Gemeinde in Barnaul offiziell zum Pastor eingesetzt.
Ungefähr zur gleichen Zeit setzte eine große Christenverfolgung im Land ein. Polizei und KGB drangen in Gottesdienste ein und trieben die Versammelten auseinander. Sie verboten die Versammlungen und schrieben sich alle Anwesenden auf. Die Listen mit den Namen wurden auch den Arbeitgebern der Gläubigen vorgelegt, damit man sich auch am Arbeitsplatz ganz individuell um die jeweilige Person kümmern konnte. In meiner Funktion als Pastor wurde ich besonders häufig zu Verhören gerufen.
Verurteilung
Mehrere Brüder aus der Gemeinde Barnaul waren bereits verhaftet worden.Am 25. Januar 1963 wurde auch ich zur Staatsanwaltschaft bestellt. Trotz hohem Fieber und Krankheit ging ich hin. Der Vorgesetzte des Komitees für Staatsicherheit lächelte zynisch, als er mich sah. „Bei uns im Gefängnis werden wir dich von allen Krankheiten erfolgreich therapieren“, höhnte er. Bald folgte das öffentliche Gerichtsverfahren. Es wurden Zeugen aufgerufen, die gegen den Angeklagten aussagen sollten. Zwei Mitglieder der Gemeinde weigerten sich, gegen mich auszusagen und wurden dafür mit 15 Tagen Zwangsarbeit bestraft.
Ich wurde vom Richter zu fünf Jahren Freiheitsentzug und der Konfiszierung meines Eigentums verurteilt. So kam ich mit 24 Jahren ins Gefängnis, während der Gerichtsvollzieher die Hausdurchsuchung vollführte. Meine Frau war gerade mit dem dritten Kind schwanger. Gott sorgte in dieser Zeit für meine Familie, sodass die Ziegen, die für meine Frau so lebensnotwenig waren, nicht beschlagnahmt wurden.
Gott führt durch
Die Gefangenschaft fiel mir schwer. Im Straflager ließen mich die Beamten des KGB nicht in Ruhe und bestellten mich oft zum Verhör. Sie hielten mich für einen naiven, jungen Mann, dessen Willen sie schnell brechen wollten. Als sie es mit viel Druck nicht schafften, versuchten sie es auf eine andere Art und Weise. Sie boten mir an, sofort nach Hause zu dürfen, wenn ich mich von meinem Glauben lossagte. Sie versprachen mir einen Platz in der Akademie und die Beförderung zum Oberstleutnant. Da ich auch das entschieden ablehnte, wollten sie sich an mir rächen und planten eine Versetzung in die Taiga ins Gefangenenlager. Dies ließ Gott jedoch nicht zu.
Meine Haftzeit hatte ich bis zum letzten Tag abgesessen, war dabei meiner Überzeugung treu geblieben und hatte mein Gewissen rein gehalten. Am Gefängnistor wurde ich von meiner Frau Frieda und meiner fünfjährigen Tochter Larissa empfangen. Beim Anblick meiner Tochter kamen mir die Tränen, denn Larissa war gerade kurz nach meiner Inhaftierung auf die Welt gekommen. Wir, die kleine Gesellschaft von Vater, Mutter und Tochter, gingen zu Fuß nach Hause.
Der Spion
Bereits am selben Abend nahm ich wieder am Gottesdienst teil. Gemeinsam verherrlichten wir Gott an diesem Abend für Seine Gnade. Nach einiger Zeit sah ich in einem Traum die grenzenlosen Steppen Kasachstans. Durch eine Weissagung bestätigte mir Gott, dass Er mich dort sehen wollte.
Zweimal im Jahr trafen wir uns mit allen Gemeindeleitern und Diakonen Mittelasiens, um uns untereinander auszutauschen. Wir stellten fest, dass es unseren Geschwistern sehr an geistlicher Literatur fehlte. Mit Hilfe einiger Brüder eröffneten wir eine geheime Druckerei. Trotz der ständigen Auseinandersetzung mit dem KGB durfte ich auf Gottes Arbeitsfeld dienen.
Ein anderes Mal, als ich gerade auf Reisen war, wurde mir von dem KGB ein Spion in das Doppelzimmer des Hotels untergeschoben. Ich durchschaute meinen sonderbaren Zimmergenossen und weckte in der Nacht die Brüder, um heimlich aus dem Hotel zu verschwinden. Als das KGB dies bemerkte, saßen wir bereits im Flugzeug. Die Agenten verfolgten unsere Flugroute. Aufgrund schlechter Wetterverhältnisse wurden jedoch die geplanten Landungen gestrichen. Nach einer Zeit ging der Treibstoff aus, sodass wir in Kustanaj notlanden mussten. Am nächsten Morgen konnte ich trotz allem ohne Verspätung mit der Eisenbahn nach Hause fahren und an meinem Arbeitsplatz erscheinen. Es waren erst wenige Stunden vergangen, da rief der KGB bei meinem Chef an, um sich zu erkundigen, ob ich heute zur Arbeit erschienen sei. Nachdem mein Chef dies bestätigte, konnte der KGB-Agent sein Staunen darüber nicht verbergen.
Der eiserne Vorhang fällt
Als Ende der 80er Jahre die Regierung der UdSSR wechselte, änderte sich auch das politische Klima in unserem Land. Deutsche bekamen die Genehmigung, Russland zu verlassen und in ihre Heimat zurückzukehren. 1988 war es dann endlich soweit, wir zogen nach Deutschland. Ich bemühte mich gleich darum, viele Brüder und Schwestern für meine Idee zu gewinnen, ein Missionswerk zu gründen. Gemeinsam verschickten wir Pakete mit christlicher Literatur an die Geschwister in Russland, denn wir wussten, wie viele Millionen Menschen nur darauf warteten, die gute Nachricht zu hören. Den meisten Menschen war es eine große Freude, das Neue Testament zu besitzen.
Etwa zwei Jahre später ließen wir das Missionswerk 1990 offiziell als Verein registrieren. Das Missionswerk Nehemia unterstützte uns bei den ersten Transporteinsätzen. Im selben Jahr organisierten wir mit dem Missionswerk Stephanus bereits einen eigenen Autotransport nach Kasachstan. Es folgten Hilfstransporte in viele weitere Länder wie die Ukraine, Russland, Moldawien, Armenien, Rumänien, Albanien und Indien. Und ich lernte: Wenn man sein Brot übers Wasser fahren lässt, wie es in Prediger 11,1 geschrieben steht, so wird man es mit Butter wiederfinden.
Aufgeschrieben von Dorothea Gesswein
Gemeinde Speyer