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„Aber meine Seele müsse sich freuen des Herrn und sei fröhlich über seine Hilfe. Alle meine Gebeine müssen sagen: Herr, wer ist deinesgleichen? Der du den Elenden errettest von dem, der ihm zu stark ist, und den Elenden und Armen von seinen Räubern“ (Ps 35,9-10).
Niemand erleidet gerne Unrecht, auch Christen nicht. Es ist ein Zustand, der uns Menschen massiv widerstrebt und den wir tunlichst zu vermeiden suchen. Dabei gehört das Erleiden von Unrecht aus Gottes Sicht zu einem besonderen Privileg. Nicht deshalb, weil Gott Unrecht toleriert, sondern weil der Mensch in diesem besonderen Fall Gottes Segen näher ist als in jeder anderen Lage. Vorausgesetzt, der Mensch erträgt die Ungerechtigkeit in Demut und Gottvertrauen.
Für unsere Generation ist das Erleiden von Unrecht etwas Schicksalhaftes, das in der Regel zu vermeiden ist. Seit Jahrzehnten sind wir es gewohnt, dass in unserem Rechtsstaat niemand Unrecht erleiden soll und muss. Das prägt unseren Umgang miteinander und die Sichtweise auf Unrecht in der Gesellschaft. Wir sind es gewohnt, dass alles, was passiert, nachvollziehbar und begründet zu sein hat. Wir besitzen also ein ausgeprägtes Rechtsbewusstsein und kennen unsere Rechte. Oft sind wir allerdings außerstande, unser eigenes Verhalten und das von uns begangene Unrecht als solches zu erkennen.
Wir können Unrecht ertragen, wenn wir vollkommen davon überzeugt sind, dass Gott selbst über allem steht. Er ist ein Gott, dem nichts entgeht, der unsere Gerechtigkeit und unser Recht zu Seiner Zeit zur Geltung bringen wird.
Die Corona-Pandemie hat unser Verständnis von Recht und Unrecht insofern erschüttert, als dass uns lieb gewonnene Selbstverständlichkeiten von heute auf morgen in Frage gestellt wurden. Kontaktbegrenzungen, Einschränkungen beim Gottesdienstbesuch, das Tragen von Gesichtsmasken und noch vieles mehr, stellen für uns eine gefühlte Ungerechtigkeit dar. Unser Wesen, gleichfalls das innere „Ich“, lehnen sich gegen diese vermeintliche Ungerechtigkeit auf.
Bei all dem stellt sich die Frage, wie es unsere Großeltern in einer Zeit der Diktatur geschafft haben, den inneren Frieden trotz der massiven und realen Ungerechtigkeit inmitten einer schlimmen Zeit voller Entbehrungen und Mangel zu bewahren? Was hat ihnen geholfen, unbeirrt an ihrem Glauben festzuhalten? Folglich müssen wir uns die Frage stellen, was uns heute möglicherweise fehlt, wenn Unruhe und Angst, gemischt mit Unverständnis immer mehr Raum in manchen Christen einnehmen. Die richtige Haltung gegenüber der Ungerechtigkeit, gestützt auf das Wort Gottes, hat unseren Glaubensgeschwistern seinerzeit geholfen. Sie kann auch uns heute dabei helfen, aus jedem von Gott zugelassenen Unrecht, eine Quelle des Segens zu erschließen.
Auf vier Punkte möchte ich in diesem Zusammenhang etwas näher eingehen.
1. Im Epheserbrief sagt Apostel Paulus deutlich, womit wir es in dieser Welt zu tun haben: „Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel“ (Eph 6,12). Eine realistische Sicht auf diese Welt bewahrt die Kinder Gottes vor Enttäuschung und Verbitterung, wenn die Ursachen für Ungerechtigkeit und Böswilligkeit rechtzeitig erkannt werden.
Im Grunde genommen ist es ein Schauen mit geistlichen Augen auf einen stetigen Kampf, der unseren physischen Augen verborgen bleibt. Es ist die Fähigkeit, in denjenigen, die uns Unrecht antun, weder eine bestimmte Person, die Politik noch die Gesellschaft als Ganzes zu sehen, sondern den einen, der diesen bösen Einfluss auf die Menschen ausübt. Der Mensch ist und bleibt bloß ein Werkzeug. Eines, dass sich entweder von Gott gebrauchen lässt oder sich dem Einfluss eben dieser bösen unsichtbaren Macht öffnet. David wusste sehr genau, warum Saul ihm so viel Unrecht zufügte. Nämlich weil Saul von Gott verworfen wurde und dem bösen Geist somit die Möglichkeit gab, von ihm Besitz zu ergreifen.
Manchmal wird uns auch durch Menschen, die uns sehr nahestehen, Unrecht zugefügt. Die Ursachen hierfür können unterschiedlicher Art sein. Wenn ich mich dem widersetze, kommt bloß mein eigener Stolz zum Vorschein, welcher immer noch in mir herrscht. Bin ich jedoch imstande, das mir zugefügte Unrecht hinzunehmen, erfüllt mich der tiefe Friede Gottes und ich bin befähigt, dem zu helfen, der mir das Unrecht antat.
Wenn es uns schwerfällt, das uns zugefügte Unrecht zu ertragen, dann oft nur deshalb, weil wir uns selbst im Mittelpunkt dieser Angriffe sehen.
2. Ein weiterer Aspekt, der uns die Kraft gibt, das Unrecht zu ertragen, ist, dass wir uns auf Jesus allein fokussieren und nicht auf das Unrecht. Ein Beispiel hierfür ist wieder König David, ein Mann nach dem Herzen Gottes. Der ständige Blick auf Gott war sehr charakteristisch für ihn. Während der gesamten Zeit, in der David von Saul verfolgt wurde, blieb er diesem Prinzip treu. David war davon überzeugt, dass Gott nichts entging und Er selbst für ein Ende der unverdienten Ungerechtigkeit sorgen würde.
Auch Hiob folgte dieser Lebensregel. Scheinbar von Gott verlassen, von seinen Freunden missverstanden und verleumdet, spricht Hiob diese Worte aus: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt; und als der letzte wird er über dem Staube sich erheben“ (Hiob 19,25). Haben wir heute auch dieses feste Vertrauen, dass Gott über allem steht und nichts ohne Seinen Willen geschieht? Alle Ereignisse, die uns begegnen, dienen uns zum Besten! Glauben wir daran? Ohne jede Bitterkeit, jegliche Unruhe und Unfrieden im Herzen?
3. Der dritte Punkt ist der, welcher uns in der praktischen Umsetzung vermutlich die größte Kraft abverlangt. Jede persönliche Ungerechtigkeit, Anfeindung, Missverständnis oder gar böswillige Tat lösen in der Regel einen Gegenreflex in uns aus. Es geht schließlich um unsere Ehre und um die Achtung unserer Person, die es zu verteidigen gilt. Oft kommt es auf die Position an, die wir gerade in dieser Welt einnehmen. Wenn wir viel zu verlieren haben und dadurch möglicherweise viel von uns halten, haben wir das Gefühl, dass wir für unser Recht einstehen müssen. In dieser Ausgangsposition ist es uns jedoch nahezu unmöglich, Unrecht in jeglicher Form zu ertragen.
Apostel Paulus musste an die Gemeinde in Korinth schon derzeit mahnende Worte richten: „Warum lasst ihr euch nicht lieber Unrecht tun? Warum lasst ihr euch nicht lieber übervorteilen?“ (1.Kor 6,7). Doch dieses wird uns nur dann gelingen, wenn wir vollkommen davon überzeugt sind, dass Gott selbst über allem steht. Er ist ein Gott, dem nichts entgeht, der unsere Gerechtigkeit und unser Recht zu Seiner Zeit zur Geltung bringen wird.
Josef musste in seinen jungen Jahren sehr viel Leid und Unrecht erfahren und dient uns heute als lebendiges Beispiel aus dem Wort Gottes: die Eifersucht seiner Brüder, die Verleumdung durch Potifars Frau und die Undankbarkeit des Mundschenks, nachdem dieser aus dem Gefängnis befreit wurde. Trotz all dieser Ereignisse war sich Josef stets Gottes Gegenwart bewusst. Letztlich war das auch der Grund dafür, dass Josef trotz aller Schwierigkeiten eine besondere Faszination auf sein Umfeld ausübte. Das war wohl mit ein Grund dafür, dass Potifar Josef nahezu die gesamte Verantwortung für sein Haus übertrug.
4. Der vierte Punkt spiegelt die Fähigkeit wider, sich von Gottes Geist trösten zu lassen. Davids Leidensgeschichte bis zum Zeitpunkt seiner Krönung zum König ist voller Widersprüche und Ängste. David drückt sich in Psalm 35,7 so aus: „Denn sie haben mir ohne Ursache ihr Netz gestellt, ohne allen Grund meiner Seele eine Grube gegraben.“ In dieser schwierigen Lage sucht David Trost und Stärke bei Gott und ist sich der Gegenwart und Anteilnahme Gottes sicher. Dieses uneingeschränkte Vertrauen auf Gott gab ihm über eine lange Zeit Ausdauer und Lebensmut.
Dazu kommt noch ein bemerkenswerter Wesenszug Davids: Trotz der Möglichkeit zur Selbstverteidigung überlässt David die gesamte Angelegenheit seinem allmächtigen Gott. Letztlich geht es um einen Kampf, den Saul gegen Gott selbst führt. David ist dabei lediglich die Projektionsfläche, auf die Saul direkten Zugriff hat. Diese Erfahrungen machen wir oft auch, indem wir Menschen begegnen, die aus unerfindlichen Gründen mit ihrem Verhalten gegen Gott rebellieren. Ihr Unmut und Hass richten sich oft gegen diejenigen, die für Überzeugungen und Werte stehen, gegen die sich der Grimm dieser Menschen wendete.
Wenn es uns schwerfällt, das uns zugefügte Unrecht zu ertragen, dann oft nur deshalb, weil wir uns selbst im Mittelpunkt dieser Angriffe sehen. In solchen Momenten geht es dann folgerichtig um unsere Ehre und Würde. Was wir nicht verstehen, ist, dass jedes gegen uns gerichtete Unrecht ein direkter Angriff des Feindes auf Gott ist. Anstatt Gott die Möglichkeit zu geben, unser Recht zu verteidigen, nehmen wir es selbst in die Hand. Dabei verlieren wir jedoch den Segen Gottes. Lasst uns an die Worte Jesu denken: „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen“ (Mt 5,4-5).
Eduard Vetter,
Gemeinde Bremen-Vahr
Bibelzitate folgen, wenn nicht anders
gekennzeichnet, der Übersetzung Luther 1912.